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Kategorie: Anwalt Arbeitsrecht , 28.03.2024 (Lesedauer ca. 5 Minuten, 2507 mal gelesen)

Überstunden: Diese 9 Fakten sollten Arbeitnehmer wissen!

Überstunden: Diese 9 Fakten sollten Arbeitnehmer wissen! © freepik - mko

In Deutschland leisten Arbeitnehmer jährlich fast eine Milliarde Überstunden. Überstunden sind in vielen Betrieben und Unternehmen daher keine Ausnahme, sondern die Regel. Doch sind Arbeitnehmer verpflichtet Überstunden zu leisten? Wann kann der Arbeitnehmer Überstunden verweigern? Müssen Überstunden immer bezahlt werden? Und was passiert mit Überstunden nach einer Kündigung?

1. Wann kann der Chef Überstunden verlangen?


Ein Arbeitgeber kann nur dann Überstunden von seinen Beschäftigten verlangen, wenn diese Mehrarbeit im Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag vereinbart wurde.

Wichtig: Als Überstunde gilt jede Arbeitsleistung, die ein Arbeitnehmer über seine vereinbarte oder die im Arbeitszeitgesetz geregelte Arbeitszeit hinaus leistet.

2. Wieviel Überstunden sind erlaubt?


Die zulässige Grenze für Überstunden ergibt sich aus dem Arbeitszeitgesetz. Danach sind 8 Stunden am Tag und bis zu 48 Stunden Arbeit pro Woche erlaubt, plus einen Zuschlag von 12 Überstunden.

Wichtig: Für leitende Angestellte gilt das Arbeitszeitgesetz nicht!

3. Wann kann der Arbeitnehmer Überstunden verweigern?


Ist im Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag eine vertragliche Verpflichtung zur Mehrarbeit geregelt, kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer fristlos kündigen, wenn dieser sich weigert Überstunden zu leisten, so das LAG Rheinland-Pfalz (Az. 6 Sa 143/07) und das LAG Schleswig-Holstein (Az. 3 Sa 224/01).

Auch Auszubildende dürfen zur Mehrarbeit herangezogen werden, wenn dies vertraglich vereinbart wurde. Bei minderjährigen Auszubildenden schreibt das Jugendarbeitsschutzgesetz allerdings vor, dass sie nicht mehr als acht Stunden am Tag und 40 Stunden in der Woche arbeiten dürfen.

Fehlt es an einer arbeitsvertraglichen Regelung hinsichtlich der Überstunden, kann der Arbeitnehmer die Mehrarbeit ablehnen. Ausnahme: Tritt ein Notfall ein, ist ein Arbeitnehmer auch ohne vertragliche Verpflichtung zu Überstunden verpflichtet. So etwa bei einer Krankheitswelle im Betrieb oder wenn die Existenz des Betriebes nur durch Mehrarbeit gerettet werden kann.

4. Wie müssen Überstunden vergütet werden?


Zu viel geleistete Mehrarbeit muss vom Arbeitgeber in der Regel bezahlt oder mit Freizeitausgleich beglichen werden. Doch auch hier gilt was im Arbeitsvertrag, der Betriebsvereinbarung oder dem Tarifvertrag hinsichtlich der Vergütung von Überstunden geregelt wurde.

Unwirksam können Vereinbarungen im Arbeitsvertrag sein, die besagen, dass die Vergütung von Überstunden mit im vereinbarten Gehalt enthalten ist. Wirksam ist eine solche Klausel nach dem Bundesarbeitsgericht (BAG) (Az. 5 AZR 331/11) nur, wenn die Anzahl der Überstunden zeitlich genau eingegrenzt ist und das übliche Maß nicht überschreitet. Plusstunden die darüber hinaus gehen, müssen dann aber vom Arbeitgeber extra vergütet werden. Steht zur Höhe der Vergütung von Überstunden nichts im Arbeitsvertrag, muss der Chef die Überstunden branchenüblich vergüten.

Eine pauschale Vergütung von Überstunden ist laut LAG Kiel (Az. 6 Sa 965/01) unzulässig. Auch das BAG (Az. 5 AZR 452/18) hat die Pauschalvergütung von Überstunden für bestimmte Gewerkschaftssekretäre durch eine Betriebsvereinbarung für unwirksam erklärt. Im zugrundeliegenden Fall hatte eine Gewerkschaft mit einem Gewerkschaftssekretär eine sog. Vertrauensarbeitszeit vereinbart, das heißt er konnte bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden über Beginn und Ende der Arbeitszeit selbst entscheiden. Eine Gesamtbetriebsvereinbarung sah daneben vor, dass Gewerkschaftssekretäre, die regelmäßig Mehrarbeit leisten, einen Ausgleich von neun freien Arbeitstagen im Jahr erhalten. Diese Vereinbarung ist im Hinblick auf die pauschale Vergütung von Überstunden, laut Bundesarbeitsgericht, unwirksam. Sie verstoße gegen das Gebot der Normenklarheit, da nicht eindeutig sei, was unter „regelmäßiger Mehrarbeit“ zu verstehen ist.

Aufgepasst: Der Abbau von Überstunden ist etwas anderes als Urlaub. Dieser Meinung ist das LAG Mainz (Az. 5 Sa 342/15). Der Fall: Ein Arbeitnehmer erkrankte während er seine Überstunden abbaut. Er war der Ansicht, dass er die Überstunden ebenso wie Urlaub vergütet bekommen muss. Die Richter stellten aber klar: Wer im Urlaub krank wird, hat einen Ersatzanspruch, bei einer Erkrankung während des Abbaus von Überstunden liegt dieser nicht vor.

5. Muss der Chef auch nicht angeordneten Überstunden vergüten?


Können Arbeitnehmer die Bezahlung von Überstunden verlangen, wenn der Chef zwar davon wusste, diese aber nicht ausdrücklich genehmigt oder angeordnet hat? Ja, sagt das LAG Mecklenburg-Vorpommern (Az. 2 Sa 180/13). Nachgewiesen werden muss lediglich, dass der Arbeitgeber davon gewusst hat. Hier dient ein Dienstplan als guter Nachweis. Wer dort seine zusätzlichen Stunden vermerkt, hat gute Chancen auf deren Vergütung.

6. Wie werden Überstunden bei Beamten abgegolten?


Bei Beamten können Überstunden auch durch Freizeitausgleich ausgeglichen werden. Dies zeigt ein Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin (Az. VG 26 K 58.14), wonach ein Polizeibeamter für seine Überstunden nach dem Landesbeamtengesetz einen Anspruch auf Dienstbefreiung hat.

Daneben gibt es bei Beamten für Mehrarbeit die Möglichkeit einer zusätzlichen Vergütung. Dies gilt allerdings nicht im Fall einer Lehrerin, die an einer einwöchigen Klassenfahrt teilnimmt, entschied das VG Karlsruhe (Az. 13 K 13256/17). Das Besoldungsrecht sieht für die Teilnahme an der Studienfahrt keine Mehrarbeits- oder eine anderweitige zusätzliche Vergütung vor. Diese gibt es für Lehrer beispielsweise, wenn sie überobligatorisch Unterrichtsstunden leisten.

Das Bundesverwaltungsgericht (Az. 2 C 2.23) hat entschieden, dass der Dienstherren nach dem Saarländischen Beamtengesetz ein Jahr Zeit hat um Überstunden als Freizeitausgleich auszugleichen. Danach wandelt sich der Anspruch in einen Vergütungsanspruch.

7. Was passiert mit Überstunden nach einer Kündigung?


Endet ein Arbeitsverhältnis und die Überstunden können aufgrund einer Freistellung des Arbeitnehmers nicht mehr durch Freizeit ausgeglichen werden, muss der Arbeitgeber sie finanziell abgelten. Dies entschied das BAG (Az. 5 AZR 578/18) und stellte klar, dass mit einer Freistellung nur dann auch der Anspruch auf Freizeitausgleich für Überstunden erfüllt wird, wenn dies für den Arbeitnehmer klar erkennbar war.

8. Wann verjährt der Anspruch auf Vergütung von Überstunden?


Die Ansprüche auf Zahlung von Überstunden können verjähren. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Az. 4 B 20.16) entschied im Fall von Überstunden von Berliner Feuerwehrleuten aus dem Jahr 2004, dass diese Ansprüche mit Ablauf den 31.12.2007 verjährt sind und daher nicht finanziell ausgeglichen werden müssen.

9. Wie muss der Arbeitgeber Arbeitszeit/ Überstunden dokumentieren?


Damit Arbeitnehmer Überstunden vergütet bekommen, müssen diese auch korrekt als zusätzliche Arbeitszeit erfasst werden. Dafür ist es notwendig, dass die Arbeitszeit exakt erfasst wird. Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) (Az. C-55/18) müssen Arbeitgeber ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einrichten, so dass die Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers transparent erfasst wird. Begründung: Das Grundrecht eines Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der täglichen und wöchentlichen Höchstarbeitszeit ist in der Arbeitszeitrichtlinie geregelt. Zur Verwirklichung dieses Grundrechts ist laut EuGH ein Arbeitszeiterfassungssystem notwendig. Nur mit einem solchen System könne die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden, ihre zeitliche Verteilung und die Anzahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden, was für den Arbeitnehmer eine Grundlage zur Durchsetzung seiner Rechte darstelle. In der Umsetzung der Arbeitszeiterfassungssysteme sind die EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Form der Erfassung und Rücksichtnahme auf Besonderheiten eines Tätigkeitsbereiches oder Größe eines Unternehmens frei.

Auch das Bundesarbeitsgericht (Az.1 ABR 22/21) hat nach dem Urteil des EuGH klargestellt, dass Arbeitgeber die Pflicht haben, die Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer systematisch zu erfassen.

Der deutsche Gesetzgeber hat diese Rechtsprechung noch nicht umgesetzt. Bislang besteht nur für bestimmte Branchen, bspw. in der Gastronomie, die Pflicht die Arbeitszeit zu erfassen.

Übrigens: Nach einer Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz (Az. 6 Sa 337/08) reichen private Aufzeichnungen des Arbeitnehmers zum Nachweis von Überstunden nicht aus.




erstmals veröffentlicht am 22.07.2016, letzte Aktualisierung am 28.03.2024

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