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Kategorie: Anwalt Versicherungsrecht , 12.09.2023 (Lesedauer ca. 5 Minuten, 14581 mal gelesen)

Wann haftet das Pflegeheim bei Unfällen?

Doktor hält die Hand einer Seniorin Doktor hält die Hand einer Seniorin © freepik - mko

Schon ein kleiner Sturz kann für einen alten Menschen erhebliche gesundheitliche Folgen haben. Welche Vorkehrungen muss ein Pflegeheim treffen, um Stürze oder Unfälle seiner Bewohner zu vermeiden? Was gilt es bei dementen Pflegeheim-Bewohnern zu beachten? Wann dürfen Heimbewohner zur Vermeidung von Unfällen fixiert werden? Und wer haftet, wenn es zu einem Unfall im Pflegeheim kommt?

Wie muss das Pflegeheim seine Bewohner vor Unfällen schützen?


Das Pflegeheim hat selbstverständlich die Pflicht Gesundheitsschäden von seinen Bewohnern abzuwenden und Vorkehrungen zu treffen, damit ist nicht zu Unfällen kommt.

Die Pflichten eines Pflegeheims gegenüber seinen Bewohnern ergeben sich unter anderem aus dem Sozialgesetzbuch und dem Heimgesetz. So darf ein Pflegeheim einen hilfebedürftigen Bewohner nur dann aufnehmen, wenn seine personellen und Fachlichen Kapazitäten für die zu erbringende Pflegeleistung ausreichen. Es muss eine umfangreiche Erhebung der Krankengeschichte des Bewohners bei der Aufnahme ins Pflegeheim durchführen. Dabei müssen auch Sturzrisiken anhand von bestimmten Risikofaktoren ermittelt und dokumentiert werden. Das Pflegeheim muss einen Pflegeplan erstellen, bei der ein mögliches Sturzrisiko berücksichtigt sein muss. Der Pflegeplan muss prophylaktischen Maßnahmen und Hilfsmittel aufführen. Kann der Bewohner nicht ausreichend bei der Ermittlung seiner Krankengeschichte behilflich sein, muss der Betreuer befragt werden.

Nach einer Entscheidung des Verwaltungsgericht Stuttgart (Az. 4 K 897/12) ist ein Pflegeheim verpflichtet während der Nachtzeit durchgehend mindestens eine Pflegekraft bereitzustellen, die die Nachtwache übernimmt. Eine bloße Nachtbereitschaft reicht nicht aus.

Welche Vorkehrungen muss das Pflegeheim bei dementen Bewohnern zum Unfallschutz treffen?


Ein dementer Bewohner eines Pflegeheims, bei dem erkennbar eine Selbstschädigungsgefahr gegeben ist, darf nicht in einem Wohnraum im Obergeschoss mit leicht zu öffnenden Fenstern untergebracht werden. Dies entschied der Bundesgerichtshof (BGH) (Az. III ZR 168/19) und führt in seiner Entscheidung aus, dass die Schutzpflichten eines Pflegeheims nicht generell festgelegt werden können, sondern immer im Einzelfall je nach Verfassung des pflegebedürftigen Bewohners und unter Abwägung aller Umstände entschieden werden müssen. Schließlich sei das Pflegeheim einerseits verpflichtet die Menschenwürde und das Recht auf Freiheit des dementen Bewohners zu achten, aber es muss andererseits auch sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit schützen.

Das OLG Karlsruhe (Az. 7 U 21/18) entschied im Fall eines dementen Bewohners, der bei seinem Toilettengang stürzte, dass das Pflegeheim nur die Schutzmaßnahmen ergreifen muss, die aufgrund des Sturzrisikos des Bewohners notwendig sind.

Anders entschied das OLG Zweibrücken (Az. 4 U 68/05) im Fall einer schwer dementen Heimbewohnerin, die stürzte, weil ein Pfleger sie am Waschbecken stehen ließ, um den Toilettenstuhl zu holen. Die Frau verstarb in Folge des Sturzes und das Gericht sah im Verhalten des Pflegepersonals eine schwere Pflichtverletzung, die zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 8.000 Euro an den hinterbliebenen Ehemann führte.

Im Fall einer Bewohnerin mit einer Alzheimer-Erkrankung, die beim Mittagessen unbemerkt in das Treppenhaus gelangt und dort schwer stürzte, lehnte das Landgericht (LG) Coburg (Az. 22 O 355/13) eine Haftung des Pflegeheims ab. Die Pflichten eines Pflegeheims seien auf die mit vernünftigen, finanziellen und personellen Aufwand zu realisierenden üblichen Pflegemaßnahmen beschränkt. Das Pflegeheim habe keine freiheitsentziehenden Maßnahmen, wie etwa eine zwangsweise Fixierung der Patientin, durchführen müssen, da sie sich in keiner konkreten Gefahrensituation befand.

Ein Pflegeheim ist nicht verpflichtet bei dementen Heimbewohnern Gitter an deren Bett anzubringen, entschied das LG Köln (Az. 3 O 5/19). Begründung: Ein Bettgitter könne die Sturzgefahr erhöhen, weil die Möglichkeit besteht, dass demente Bewohner versuchen über das Gitter zu klettern. Zudem führe es zu einer Unbeweglichkeit des Heimbewohners, die bei ihm zu Muskelabbau und damit zu einer motorischen Unsicherheit führt.

Wann dürfen Pflegeheimbewohner zum Schutz vor Unfällen fixiert werden?


Eine länger andauernde Fixierung von pflegebedürftigen Heimbewohnern muss von einem Richter genehmigt werden, entschied der BGH (Az. XII ZB 24/12). Eine Vorsorgevollmacht, die auch diese Maßnahmen umfasst, reicht als Zustimmung zu einer Fixierung nicht aus. Bei einer Fixierung – ob zeitweise oder dauerhaft – handelt es sich um einen Freiheitsentzug, wenn der Betroffene noch in der Lage ist seinen Aufenthalt willensgesteuert zu verändern. Dieser Freiheitsentzug muss gerichtlich überprüft werden. Eine Vorsorgevollmacht, die auch diese Maßnahmen umfasst, ändert daran nichts.

Angehörige oder Betroffene, die mit einer Fixierung nicht einverstanden sind, sollten sich vom Pflegeheim die richterliche Genehmigung der Maßnahme zeigen lassen. In vielen Fällen liegt diese gar nicht vor. Ansonsten kann gegen die richterliche Genehmigung auf dem Rechtsweg vorgegangen werden. Dazu empfiehlt sich unbedingt die Unterstützung durch einen Anwalt für Sozialrecht einzuholen.

Wann haftet das Pflegeheim bei einem Unfall?


Ein Pflegeheim haftet bei Unfällen seiner Bewohner, wenn die medizinisch–pflegerischen Standards verletzt und dadurch die Gesundheit des Bewohners beschädigt wurde. Den Beweis dafür muss die Krankenkasse erbringen, was in der Regel durch ein Sachverständigengutachten geschieht.

Werden etwa pflegebedürftige und demenzkranke Pflegeheimbewohner in einem Zimmer mit heißem Tee in Thermoskannen unbeaufsichtigt gelassen und verbrennt sich eine im Rollstuhl sitzende demente Bewohnerin am heißen Tee, so hat das Pflegeheim eine Pflichtverletzung begangen und muss Schadensersatz leisten. Dies stellt das Schleswig-Holsteinische OLG (Az.4 U 85/12) klar und sprach der Krankenkasse, bei der die Heimbewohnerin versichert war, mehr als 85.000 Euro Schadensersatz für die Behandlungskosten zu.

In welchen Fällen scheidet eine Haftung des Pflegeheims bei einem Unfall aus?


Das Pflegeheim haftet nicht, wenn ein Bewohner, der alleine Stehen und Gehen kann, beim Wechseln seiner Inkontinenzeinlage stürzt, entschied das LG Coburg (Az.11 O 660/09). Das Pflegeheim müsse die körperliche Unversehrtheit seiner Bewohner nur bei den üblichen Pflegemaßnahmen schützen. Da der Mann bis zum Unfall keine Stützhilfe benötigte, gab es für das Pflegeheim keinen Anhaltspunkt den Mann beim Wechseln der Inkontinenzeinlage besonders zu sichern.

Wurde einer Pflegeheimbewohnerin vom Pflegepersonal nahegelegt bei den nächtlichen Toilettengängen Hilfe in Anspruch zu nehmen und wurde ihr ein Nachstuhl ans Bett gestellt und gezeigt, wie das Bettgitter funktioniert, hat das Pflegeheim seine Pflichten gegenüber der Heimbewohnerin erfüllt und haftet nicht bei einem Sturz, entschied das OLG Dresden (Az. 2 U 753/04).

Das Pflegeheim haftet auch nicht für die Folgen eines Sturzes einer Heimbewohnerin, wenn es möglich sein könnte, dass der Sturz die Folge eines Spontananbruch des Oberschenkelhalsknochens war und nicht eine Fahrlässigkeit des Pflegepersonals, so das OLG Hamm (Az. 17 U 35/13).

Eine unzureichende Treppenbeleuchtung im Pflegeheim führt allein noch nicht zur Haftung des Pflegeheims bei einem Unfall, entschied das Amtsgericht München (Az. 121 C 31386/09). Reicht dem Bewohner die Treppenbeleuchtung nicht aus, wollte er die Treppe nicht nutzen, so das Gericht.

Wird eine Heimbewohnerin im Fahrstuhl trotz Lichtschranke und Bewegungssensoren eingeklemmt, haftet das Pflegeheim für diesen Unfall nicht, wenn der Fahrstuhl regelmäßig gewartet und ansonsten unfallfrei betrieben wurde, so das OLG Düsseldorf (Az. I-24 U 144/15).

Unfälle im Pflegeheim – wo finden Betroffene und Angehörige Hilfe?


Kommt es wiederholt zu Unfällen im Pflegeheim, ungewollten Fixierungen oder etwa mangelhafter Pflegeleistung sollte der Betroffene oder die Angehörigen diese Mängel unbedingt dokumentieren - am besten schriftlich mit Datum, einem Zeugen und/oder mit Fotos. Pflegeheimbewohner oder ihre Bevollmächtigten haben zudem ein Recht auf Einsicht in die Pflegeakte, in der die vorgenommene Pflege dokumentiert sein sollte.

Beschweren können sich Pflegeheimbewohner beim Personal, der Heimleitung und dem Heimbeirat. Führt die Beschwerde zu nichts, kann die Pflegekasse und die Heimaufsicht informiert werden. Zudem kann die Universalschlichtungsstelle des Bundes des Zentrums für Schlichtung e.V. angerufen werden, um einen Konflikt außergerichtlich zu lösen. Ist dies alles nicht möglich, bleibt die Option mit Hilfe eines Anwalts für Sozialrecht gerichtlich gegen Missstände im Pflegeheim vorzugehen.


erstmals veröffentlicht am 03.04.2014, letzte Aktualisierung am 12.09.2023

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