Nachträglicher Wegfall des Eigenbedarfs; Darlegungslast

Forderung von Schadenersatz durch den Kläger, da der Beklagte sie durch vorgetäuschten Eigenbedarf zur Aufgabe ihrer Wohnung bewegt habe, obwohl er nie konkret plante, dort mit seiner Familie einzuziehen. Das Gericht sieht die Kündigung als unzulässige Vorratskündigung, da der Beklagte keine plausiblen Gründe für die Aufgabe seiner ursprünglichen Umzugsabsicht darlegen konnte. Weder die Nutzung der Wohnung durch die Schwester noch die Corona-Pandemie entkräften den Schadenersatzanspruch, da konkrete Eigenbedarfspläne nie nachvollziehbar dargestellt wurden.
Die Kläger als ehemalige Wohnungsmieter nehmen den Beklagten mit der Begründung auf Schadenersatz in Anspruch, er habe sie durch wahrheitswidrige Vorspiegelung eines Eigenbedarfs zum Abschluss der Mietaufhebungsvereinbarung bestimmt. Der Beklagte habe nicht schlüssig begründet, weshalb er entgegen seiner damaligen Ankündigung bis heute nicht mit seiner Familie nach Berlin umgezogen und in die Wohnung eingezogen sei; die Kündigungserklärung sei daher als bloße Vorratskündigung anzusehen, ein hinreichend konkreter und verfestigter Eigenbedarf habe nicht vorgelegen.
Nach Abzug der vereinbarten und gezahlten Umzugsbeihilfe von 4.500,00 € machen die Kläger einen Schaden von etwas mehr als 15.000 € geltend, der sich im Schwerpunkt aus Mietmehraufwänden, Umzugskosten und Rechtsanwaltskosten zusammensetzt.
II. Rechtliche Würdigung
Der Beklagte ist den Klägern wegen Verletzung des inzwischen beendeten Mietvertrages, nämlich der Vorspiegelung eines die Mietvertragskündigung in Wahrheit nicht rechtfertigenden Eigenbedarfs, gemäß § 280 BGB zur Leistung von Schadenersatz verpflichtet.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Vermieter, wenn er den behaupteten Eigenbedarf nach Räumung der Wohnung tatsächlich nicht umsetzt, den nahe liegenden Verdacht widerlegen, dass der Eigenbedarf nur vorgeschoben gewesen sei. Er muss dazu substantiiert und plausibel („stimmig“) darlegen, aus welchem Grund der mit der Kündigung vorgebrachte Eigenbedarf nachträglich entfallen sein soll, wobei strenge Anforderungen zu stellen sind (BGH, Beschl. v. 11.10.2016 – VIII ZR 300/15; BGH, Urt. v. 18.05.2005 – VIII ZR 368/03).
Daran gemessen liegen plausible Gründe nicht vor, weshalb der Beklagte seinen mit der Eigenbedarfskündigung formulierten Plan, „künftig auch in Berlin zu leben“ bis heute nicht umgesetzt hat. Vielmehr deutet das abwartende Verhalten des Beklagten darauf hin, dass er die Begründung eines Zweitwohnsitzes in Berlin zwar womöglich in Erwägung zog und die Voraussetzungen schaffen wollte, einen solchen Schritt gehen zu können, aber nicht fest entschlossen war, zukünftig tatsächlich ab einem bestimmten Zeitpunkt (auch) in Berlin leben zu wollen. Selbst wenn man dem Beklagten zugestehen wollte, dass er rund ein Jahr zur Herrichtung der Wohnung hätte benötigen und dann wegen der einschneidenden Erfahrungen der Pandemiezeit von den Umzugsplänen hätte Abstand nehmen dürfen, trägt der Beklagte gar nicht vor, dass, weshalb und wie konkret sich seine Pläne überhaupt geändert hätten.
Denn eine konkrete Planung, die seiner Eigenbedarfskündigung zu Grunde gelegen habe, stellt der Beklagte nicht dar. Er trägt nicht vor, welche Mitglieder seiner Familie seiner ursprünglichen Vorstellung nach wann für wie lange oder für welche Perioden nach Berlin umziehen sollten, um
(auch) dort zu wohnen; es ist auch nicht ersichtlich, auf welche Weise sie ihren jeweiligen Beschäftigungen und (Berufs-) Tätigkeiten dann in Berlin oder von Berlin aus hätten nachgehen sollen oder welcher vorbereitenden Maßnahmen es mit welchem Vorlauf vor den eigentlichen Umzügen bedurft hätte. Vielmehr beschränkt sich die Schilderung des ursprünglichen Vorhabens des Beklagten, einen Wohnsitz künftig (auch) in Berlin zu begründen und die Wohnung selbst und/oder mit seiner Familie zu nutzen, praktisch auf gerade diese Stichworte; seine Vorstellung stellt sich damit sowohl inhaltlich als auch in zeitlicher Hinsicht als derart vage und unbestimmt dar, dass sie einen konkreten Eigenbedarf nicht ausfüllen und die Kündigung des Mietverhältnisses nicht rechtfertigen konnte, sondern eine bloße „Vorratskündigung“ vorlag.
Der Hinweis des Beklagten darauf, dass zunächst wegen der Renovierungsmaßnahmen und anschließend wegen der Corona-Pandemie ein Umzug nicht möglich gewesen sei, sich auch eine Schulanmeldung für die Kinder verboten habe, könnte womöglich erklären, weshalb ein – unterstellter – Eigenbedarf bis zum Verebben der Corona-Pandemie nicht umgesetzt wurde. Seine Ausführungen vermögen aber die fehlende Schilderung ursprünglich gefasster konkreter Pläne für die Ausfüllung und Umsetzung eines Eigenbedarfs nicht zu ersetzen und genügen nicht den Vorgaben des Bundesgerichtshofs, wonach substantiiert und plausibel
(„stimmig“) darzulegen ist, aus welchen Gründen der Eigenbedarf, so wie die Bedarfsperson ihn inhaltlich und zeitlich für sich konkretisiert hatte, dann nicht nach Wegfall der aufgezeigten Hinderungsgründe doch noch umgesetzt worden ist. Auch der Verweis auf einschneidende Erlebnisse der Corona-Pandemie, die – abstrakt, im Sinne eines „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“ – womöglich die Abkehr von einem Eigenbedarfswunsch rechtfertigen könnten, ermöglicht es der Kammer nicht, eine tatsächliche Änderung ursprünglich wirklich konkret gefasster Eigenbedarfspläne des Beklagten inhaltlich nachzuvollziehen.
Der Umstand, dass die Wohnung derzeit unter anderem seitens der Schwester des Beklagten genutzt wird, steht dem Schadenersatzanspruch der Kläger nicht entgegen. Selbst wenn das Mietverhältnis womöglich im Hinblick auf einen Eigenbedarf zu Gunsten der Schwester des Beklagten hätte gekündigt werden dürfen, ändert dies nichts an der Kausalität der tatsächlich ausgesprochenen Kündigung für den Schaden, also daran, dass die Kläger die Wohnung tatsächlich wegen einer bloßen Vorratskündigung aufgaben und dadurch einen Schaden erlitten. Ohnehin wäre eine auf einen Bedarf der Schwester gestützte Eigenbedarfskündigung womöglich deswegen unwirksam gewesen, weil die Schwester nach Vortrag des Beklagten nur ein rasch vorübergehendes Interesse an der Wohnung hatte.
Auch die im Rahmen der Mietaufhebungsvereinbarung vereinbarte Ausgleichsklausel steht dem Schadenersatzanspruch nicht entgegen. Die vereinbarte Umzugsbeihilfe von 4.500,00 € ist nicht derart hoch, dass die Kläger sich billigerweise eine dahin gehende Auslegung der Vereinbarung gefallen lassen müssten, sie hätten auf etwaige Schadenersatzansprüche wegen arglistiger Vortäuschung eines Räumungsanspruchs verzichten wollen.
LG Berlin II, Urt. v. 04.09.2024 - 64 S 281/22

Michael Ziedrich Rechtsanwalt
Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht · Fachanwalt für Verkehrsrecht · Rechtsanwalt
Bergstraße 128-130, 58095 Hagen
Hier finden Sie bundesweit Rechtsanwälte für Mietrecht