Pflichtteil – Was erhalten Ehegatten und Kinder?

Den Ehegatten oder die Kinder zu enterben ist gar nicht so einfach. Grundsätzlich kann der Erblasser in einem Testament zwar frei über sein Erbe verfügen, aber diese Testierfreiheit wird durch den sog. Pflichtteil begrenzt. Doch was genau ist ein Pflichtteil und was versteht man unter einem Pflichtteilsergänzungsanspruch? Wer hat einen Anspruch auf den Pflichtteil? Wie wird er berechnet? Und kann der Pflichtteil auch entzogen werden?
- Was ist ein Pflichtteil?
- Wie wird der Pflichtteil berechnet?
- Kann der Pflichtteil umgangen werden?
- Aus welchen Gründen kann der Pflichtteil entzogen werden?
- Pflichtteil einfordern – So gehen Sie vor
- TOP-Irrtümer beim Pflichtteil
- Weitere Artikel zum Thema Pflichtteil
- Anwalt konsultieren - was ist zu beachten?
- Häufige Fragen und Antworten zum Pflichtteil
Was ist ein Pflichtteil?
Der Pflichtteil ist eine gesetzliche Mindestbeteiligung am Nachlass für Personen, die in einem besonders nahen Verhältnis zum Erblasser stehen. Selbst wenn ein Testament eine Enterbung des Ehegatten oder eines Kindes bestimmt, soll diesem nach dem Willen des Gesetzgebers immer noch ein sog. Pflichtteil zu stehen.
Damit der Erblasser den Pflichtteil nicht durch Schenkungen mindern kann, wurde vom Gesetzgeber ein sog. Pflichtteilsergänzungsanspruch eingeführt. Danach werden alle Schenkungen, die der Erblasser in den letzten zehn Jahren vor seinem Tod durchgeführt hat, zum Nachlass hinzugerechnet.
Der Pflichtteil wird immer gegenüber den Erben eingefordert. Bei einen Pflichtteilsergänzungsanspruch kann der Anspruchsberechtigte sich auch unter bestimmten Voraussetzungen an den Beschenkten wenden.
Der Pflichtteilsberechtigte hat die Pflicht den Erben über alle Zuwendungen, die er zu Lebzeiten des Erblassers von diesem erhalten hat, Auskunft zu erteilen, so das Oberlandesgericht Koblenz (Aktenzeichen 5 U 779/15). Dabei muss er sich eine Zuwendung laut Oberlandesgericht Koblenz (Aktenzeichen 12 U 1151/04) nur dann auf den Pflichtteil anrechnen lassen, wenn der Erblasser ihm die Anrechnung auf den Pflichtteil vor oder bei der Schenkung erklärt.
Pflichtteilsansprüche verjähren nach drei Jahren (Oberlandesgericht Koblenz, Aktenzeichen 2 W 377/04).
Wie wird der Pflichtteil berechnet?
Die Höhe des Pflichtteils ergibt sich aus dem vorhandenen Nachlass und der Pflichtteilsquote.Um den Pflichtteil verlässlich zu berechnen, muss sich zunächst ein Überblick über den Nachlasswert verschafft werden. Die Erben sind verpflichtet dem Pflichtteilsberechtigten den Nachlasswert mitzuteilen sowie ein Nachlassverzeichnis auszuhändigen.
Was alles zum Nachlass gehört, finden Sie in unserer Checkliste „Nachlassverzeichnis – Grundlage für die Pflichtteilsberechnung“.
Dann erfolgt die Ermittlung der Pflichtteilsquote. Diese entspricht der Hälfte der gesetzlichen Erbquote und ist von der Familienkonstellation abhängig.
Die Pflichtteilsquote für überlebende Ehegatten richtet sich nach dem Güterstand der Ehe und der Anzahl der Angehörigen.
Die Pflichtteilsquote der Kinder wird durch die Erbquote des überlebenden Ehegatten bestimmt. Aus diesem Grund muss immer zuerst die Erbquote des überlebenden Ehegatten ermittelt werden. Mehrere Kinder sind zu gleichen Teilen pflichtteilsberechtigt.
Die Berechnung des Pflichtteils ist für einen juristischen Laien nur sehr schwer durchzuführen, weil eine Vielzahl von individuellen Besonderheiten berücksichtigt werden müssen. Nehmen Sie hierfür die fachkundige Beratung eines erfahrenen Anwalts für Erbrecht in Anspruch. Als Erbrechts-Experte rechnet er Ihnen Ihren Pflichtteil rechtssicher und zuverlässig aus.
Kann der Pflichtteil umgangen werden?
Erbverzichtsvertrag
Möglich ist dies mit einem Erb-, bzw. Pflichtteilsverzichtsvertrag. Hier erklärt der Pflichtteilsberechtigte in einem notariellen Vertrag mit dem Erblasser, dass er ganz oder zum Teil auf die Geltendmachung seines Pflichtteilsanspruchs im Erbfall verzichtet. Meist erfolgt ein Pflichtteilsverzicht, wenn der Pflichtteilsberechtigte bereits zu Lebzeiten vom Erblasser Vermögenszuwendungen erhalten hat. Doch aufgepasst: Ein einmal abgegebener Erbverzicht bleibt gültig, auch wenn der Erblasser später noch erhebliches Vermögen dazugewinnt, so das Landgericht Coburg (Aktenzeichen 21 O 295/08).
Sittenwidrig ist ein solcher Erbverzicht, wenn etwa ein Vater mit seinem gerade volljährig gewordenen Sohn vereinbart, dass dieser auf sein gesamtes Erbe verzichtet und dafür einen Sportwagen erhält - unter der Auflage, dass der Sohn mit 25 Jahren seine Berufsausbildung beendet hat. Das Oberlandesgericht Hamm (Aktenzeichen 10 U 36/15) hält diesen Erbverzicht für unwirksam, da ein erhebliches Ungleichgewicht zu Lasten des Sohnes besteht.
Wichtig: Ein Erbverzicht des Kindes des Erblassers ändert nichts an einer möglichen Pflichtteilsberechtigung des Enkels, so der Bundesgerichtshof (Aktenzeichen IV ZR 239/10).
Pflichtteilsstrafklausel im Ehegattentestament
In Ehegattentestamenten kann eine Pflichtteils-Strafklausel eingefügt werden, die den Pflichtteilsberechtigten vom weiteren Erbe ausschließt, wenn er seinen Anspruch auf das Pflichtteil bereits zum Tod des ersten Ehegatten geltend macht.
Verrechnung mit Darlehn
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit einen Pflichtteilsanspruch mit einer zum Nachlass gehörenden Darlehnsschuld zu verrechnen. Besitzt ein Erbe gegenüber einem Pflichtteilsberechtigten eine Darlehnsforderungen, die zum Nachlass zählt, muss er den Pflichtteil nicht ausbezahlen, entschied das Oberlandesgericht Hamm (Aktenzeichen 10 U 62/16).
Vermögen aufbrauchen
Eine weitere effektive Möglichkeit den Pflichtteil der Abkömmlinge und des Ehegatten zu reduzieren ist, das Vermögen zu Lebzeiten aufzubrauchen oder es jemanden zu zuwenden, ohne das dies als Schenkung gewertet werden kann. Auch Verträge zugunsten Dritter auf den Todesfall schmälern den Pflichtteil.
Aus welchen Gründen kann der Pflichtteil entzogen werden?
Der Pflichtteil kann nur wirksam in einer letztwilligen Verfügung, etwa in einem Testament oder Erbvertrag, entzogen werden (Oberlandesgericht Nürnberg, Aktenzeichen 12 U 1668/17), wenn ein gesetzlicher Entziehungsgrund vorliegt. Das ist der Fall, wenn der Pflichtteilsberechtigte versucht den Erblasser oder ihm nachstehende Personen zu töten oder sich eines Verbrechens gegen ihn schuldig zu machen, wenn Unterhaltspflichten böswillig verletzt wurden oder wenn der Pflichtteilsberechtigte eine Gefängnisstrafe verbüßt hat.Wichtig ist, dass der Entziehungsgrund im Testament nachvollziehbar benannt wird, so das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Aktenzeichen 4 U 208/04) und das Landgericht Frankenthal (Aktenzeichen 8 O 308/20). Sonst scheitert der Pflichtteilsentzug bereits an formalen Gründen. Eine einfache Körperverletzung im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung rechtfertigt nach Ansicht des Gerichts noch keinen Pflichtteilsentzug, so es sich nicht um ein schweres Verbrechen handelt.
Allein die Veruntreuung von Vermögen führt nach einer Entscheidung des Oberlandesgericht Hamm (Aktenzeichen 10 U 111/06). Zwar kann der Pflichtteil wegen eines Verbrechens entzogen werden, beachtet werden müsse aber, ob durch diese Tat das Eltern-Kind-Verhältnis grob missachtet oder der Erblasser schwer gekränkt wurde. Das sei nicht der Fall, wenn der Pflichtteilsberechtigte das veruntreute Geld alsbald zurückzahlen wollte, so das Gericht.
Auch die Weigerung des Pflichtteilsberechtigten den Erblasser zu pflegen, ist kein Grund den Pflichtteil zu entziehen, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt/Main (Aktenzeichen 15 U 61/12).
Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart (Aktenzeichen 19 U 80/18) kann der Diebstahl eines Pflichtteilsberechtigten von rund 6.100 DM zum Nachteil des Erblassers eine Pflichtteilsentziehung wegen eines schweren vorsätzlichen Vergehens rechtfertigen. Der Diebstahl einer Wurst aus der Metzgerei des Erblassers begründet noch nicht den Entzug des Pflichtteils, so das Landgericht Mosbach (Aktenzeichen 2 O 182/13).
Wichtig: Enterbt der Großvater seinen Sohn, gilt dies nicht unbedingt für dessen Abkömmlinge. Dem Enkel können Pflichtteilsansprüche trotz der Enterbung des Vaters zu stehen, so das Oberlandesgericht Hamm (Aktenzeichen 10 U 31/17).
Pflichtteil einfordern – So gehen Sie vor
Als Pflichtteilsberechtigter haben Sie das Recht ihren Pflichtteil innerhalb von drei Jahren nach Kenntnis vom Erbfall, der Enterbung oder Reduzierung Ihres Erbteils, Ihr Pflichtteil einzufordern. Dafür gehen Sie am besten so vor:1. Fordern Sie die Erben zur Auskunft über den Nachlass auf!
Damit Sie wissen in welcher Höhe Sie Ihren Pflichtteil einfordern können, benötigen Sie genaue Informationen zum Umfang des Nachlasses. Die Erben sind Ihnen gegenüber verpflichtet Auskunft über den Nachlass zu erteilen. Fordern Sie die Erben schriftlich zur Auskunft über den Nachlass auf. Diese müssen dann den Nachlasswert ermitteln und ein Nachlassverzeichnis anfertigen. Was alles zum Nachlass gehört, finden Sie in unserer Checkliste „Nachlassverzeichnis – Grundlage für die Pflichtteilsberechnung“.
2. Prüfen Sie den Nachlasswert!
Sobald Ihnen der Nachlasswert und das Nachlassverzeichnis vorliegt, sollten Sie dieses sorgfältig prüfen. Wurden alle Ihnen bekannten Vermögenswerte bedacht? Drängt sich der Verdacht auf, dass die Erben Vermögen verschwiegen haben? Wurde der Nachlasswert zu niedrig angesetzt, wirkt sich dies unmittelbar auf die Höhe Ihres Pflichtteils aus.
3. Fordern Sie die Auszahlung des Pflichtteils!
Die Auszahlung des Pflichtteils kann von Ihnen eingefordert werden, sobald der korrekte Nachlasswert vorliegt. Verweigert der Erbe die Auszahlung, sollten juristische Schritte, wie die Erhebung einer Pflichtteilsklage, in Betracht gezogen werden. Das Nachlassgericht überprüft dann den Pflichtteilsanspruch und ordnet eine Auszahlung an den Pflichtteilsberechtigten an. Hat der Erbe Zahlungsschwierigkeiten, kann er eine Stundung der Zahlungen beim Nachlassgericht beantragen.
4. Lassen Sie sich von einem Anwalt für Erbrecht beraten!
Das Einfordern des Pflichtteils läuft selten ohne Konflikte mit den Erben ab. Ein erfahrener Anwalt für Erbrecht hilft Ihnen mit seinem Expertenwissen rechtssicher zu Ihrem Pflichtteil zu gelangen. Er überprüft das Nachlassverzeichnis, berechnet ihren Pflichtteil und einigt sich in vielen Fällen außergerichtlich mit den Erben auf eine schnelle Auszahlung des Pflichtteils. Sollte es notwendig sein, reicht er für Sie eine Pflichtteilsklage ein und vertritt Ihre Recht durchsetzungsstark vor dem Nachlassgericht.
TOP-Irrtümer beim Pflichtteil
Gerade im Hinblick auf den Pflichtteil haben sich einige Irrtümer hartnäckig festgesetzt:Top-Irrtum: Pflichtteil entfällt bei Enterbung
Die Drohung „Du wirst enterbt“ oder entsprechende Verfügungen in einem Testament haben bei Pflichtteilsberechtigten kaum Erfolg. Das Erbrecht schützt mit dem gesetzlich verankerten Pflichtteil Anspruchsberechtigte gerade vor einer Enterbung. Das Pflichtteil kann der Erblasser nur unter bestimmten, im Gesetz abschließend aufgezählten, Gründen entziehen.Top-Irrtum: Pflichtteil kann zu Lebzeiten eingefordert werden
Der Anspruch auf den Pflichtteil entsteht erst mit dem Tod des Erblassers. Zu Lebzeiten haben Pflichtteilsberechtigte keinen Anspruch darauf ihren Pflichtteil einzufordern. Es gibt allerdings die Möglichkeit im Einvernehmen mit dem Erblasser vertraglich zu regeln, dass der Pflichtteil zu Lebzeiten ausgezahlt wird und später nicht mehr eingefordert werden kann.Top-Irrtum: Geschwistern steht ein Pflichtteil zu
Der Pflichtteil steht nur den Abkömmlingen des Erblassers und dessen Ehegatten zu. Sind keine Abkömmlinge des Erblassers vorhanden, können die Eltern des Verstorbenen einen Pflichtteil geltend machen. Weitere Angehörige wie Geschwister, Tanten, Onkel, Nichten und Neffen haben keinen Anspruch auf ein Pflichtteil am Erbe.Top-Irrtum: Pflichtteil bezieht sich auch auf Erbstücke
Der Anspruch auf den Pflichtteil ist ein reiner Anspruch auf Zahlung von Geld. Er berechtigt den Pflichtteilsberechtigten nicht bestimmte Gegenstände aus der Erbmasse zu fordern.Weitere Artikel zum Thema Pflichtteil
Anwalt konsultieren - was ist zu beachten?

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Häufige Fragen und Antworten zum Pflichtteil
Der Pflichtteil ist ein Zahlungsanspruch von Anspruchsberechtigten gegenüber Erben, der sie vor einer völligen Enterbung schützen soll.
+ Pflichtteil - wer hat Anspruch?
Abkömmlingen des Erblassers und dessen Ehegatten steht der Pflichtteil zu. Sind keine Abkömmlinge des Erblassers vorhanden, steht den Eltern des Verstorbenen ein Pflichtteil zu.
+ Pflichtteil - wer zahlt Anwaltskosten?
Will ein Pflichtteilsberechtigter seinen Pflichtteil mit Hilfe eines Anwalts geltend machen, trägt er die entstehenden Anwaltskosten selbst. Im Fall einer Pflichtteilsklage trägt er die Kosten nur, wenn er die Klage verliert.
+ Pflichtteil - wer zahlt Gutachter?
Die Kosten für die Wertermittlung müssen in der Regel vom Nachlass getragen werden.
+ Pflichtteilergänzungsanspruch - wer zahlt?
Grundsätzlich schulden die Erben dem Pflichtteilsberechtigten den Pflichtteilsanspruch als Verbindlichkeit auf dem Nachlasse. In Ausnahmefällen kann er sich direkt an den Beschenkten wenden.
+ Pflichtteil - wie einfordern?
Lesen Sie dazu das Kapitel „Pflichtteil einfordern- So gehen Sie vor“.
+ Pflichtteil - was gehört dazu?
Was zum Pflichtteil gehört finden Sie in unserer Checkliste „Nachlassverzeichnis – Grundlage für die Pflichtteilsberechnung“.
+ Was bedeutet Pflichtteilsverzicht?
Mit einem Pflichtteilsverzicht verzichtet der Anspruchsberechtigte darauf im Erbfall seinen Pflichtteil einzufordern. Er verliert damit auch gesetzlich verankerte Pflichtteilsergänzungsansprüche und Pflichtteilsrestansprüche.
+ Pflichtteil - was steht mir zu?
Die Höhe des Pflichtteils bestimmt sich nach dem Nachlasswert und der Pflichtteilsquote. Bei der Berechnung des Pflichtteils stehen Ihnen unsere kompetenten und erfahrenen Anwälte für Erbrecht gerne zur Verfügung.
+ Pflichtteil - warum verzichten?
Der Verzicht auf den Pflichtteil sollte gut überlegt sein. Er macht Sinn, wenn der Pflichtteilsberechtigte zu Lebzeiten des Erblassers Geld benötigt und daher auf seinen späteres Pflichtteil verzichtet.
+ Was ist eine Pflichtteilsstrafklausel?
Mit einer Pflichtteilsstrafklausel soll in Ehegattentestamenten verhindert werden, dass Pflichtteilsberechtigte ihren Anspruch bereits zum Tod des ersten Ehegatten einfordern.
erstmals veröffentlicht am 14.03.2019, letzte Aktualisierung am 03.09.2021
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