Richtiges Verhalten beim Befahren einer engen Gemeindestraße bei verbotsmäßig entgegenkommendem Verkehr

Das OLG Schleswig entschied, dass bei einem Unfall im Begegnungsverkehr auf einer engen Straße beide Fahrzeugführer eine Mitschuld tragen, wenn sie gegen Verkehrsregeln und das Rücksichtnahmegebot verstoßen. Der LKW-Fahrer missachtete ein Durchfahrtsverbot und das Rechtsfahrgebot, während der PKW-Fahrer trotz erkennbarer Engstelle weiterfuhr und damit gegen § 1 StVO verstieß. Aufgrund der beiderseitigen Verursachungsbeiträge wurde dem PKW-Fahrer eine Mithaftungsquote von 20 % zugesprochen.
Diese Frage werde ich anhand eines Beispiels aus der obergerichtlichen Rechtsprechung beantworten.
Die Grundlage meiner Ausführungen bildet der Beschluss des Oberlandesgerichtes Schleswig vom 14.01.2025 – 7 U 91/24. Im vorliegenden Fall waren ein PKW und ein LKW zur Müllentsorgung in einer engen Gemeindestraße im Begegnungsverkehr kollidiert. Das Befahren dieser Straße war für den Verkehr mit Fahrzeugen mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 t verboten. Hierauf verwies am Einfahrtsbereich der Straße jeweils das Verkehrsschild Nr. 253 zu § 41 StVO.
Im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, wie weit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist, § 17 Abs. 1, 2 StVG. Die Abwägung ist aufgrund aller zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. In erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben. Ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden. Darüber hinaus ist die konkrete Betriebsgefahr der beteiligten Kraftfahrzeuge von Bedeutung. Die Umstände, die die konkrete Betriebsgefahr des anderen Fahrzeugs erhöhen, insbesondere also dem anderen zum Verschulden gereichen, hat im Rahmen der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung jeweils der Unfallgegner zu beweisen. Das Zurücktreten eines Verursachungsbeitrags setzt in der Regel eine nicht erheblich ins Gewicht fallende mitursächliche Betriebsgefahr auf der einen Seite und ein grobes Verschulden auf der anderen Seite voraus.
Im zugrundeliegenden Fall hat der Führer des LKW beim Befahren der engen Straße gegen das Verbot nach § 41 Abs. 1 StVO in Verbindung mit Zeichen Nr. 253 verstoßen. Außerdem hat er das Rechtsfahrgebot nach § 2 Abs. 2 StVO verletzt.
Auf Seiten des Fahrers des PKW ist ein über die normale Betriebsgefahr hinausgehender Sorgfaltspflichtverstoß nach § 1 Abs. 1 StVO in die Abwägung miteinzubeziehen. Danach erfordert die Teilnahme am Straßenverkehr gegenseitige Rücksichtnahme. Bei einer erkennbaren Rechtsverletzung des anderen muss der formal Berechtigte (hier: Fahrer des PKW) gleichwohl zurückstehen, wenn dadurch Gefahren und Schäden drohen. Dagegen hat der Führer des PKW verstoßen, weil er mit seinem Fahrzeug weitergefahren ist, obwohl er bemerkt hat, dass die Fahrbahn für eine Begegnung beider Fahrzeuge nicht ausreichend breit war. Dieser Umstand ist auch unfallkausal geworden.
Im Ergebnis hat das OLG Schleswig nach der gemäß §§ 7, 17 Abs. 1, 2 StVG vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge eine Haftungsquote von 20 % zu Lasten des Fahrers des PKW angenommen. Das Gewicht seines Verstoßes gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot nach § 1 StVO sei nicht so gering, dass dieser Verstoß unter Einschluss der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs völlig zurücktrete.
Als Fazit lässt sich also festhalten, dass Sie bei Feststellung, dass die Fahrbahn für die Begegnung mit einem entgegenkommenden Fahrzeug nicht ausreichend breit ist, anhalten und auf eine gegenseitige Verständigung hinwirken müssen. Dies gilt auch für den Fall, wenn das entgegenkommende Fahrzeug die Straße verbotsmäßig befährt. Keinesfalls dürfen Sie einfach weiterfahren. Tun Sie dies doch, verstoßen Sie gegen das sich aus § 1 StVO ergebende allgemeine Rücksichtnahmegebot mit der Folge, dass Sie sich einen moderaten Mithaftungsanteil (hier: 20 %) anrechnen lassen müssen.
Bei Rückfragen zu dem Themengebiet "Unfälle im Begegnungsverkehr" können Sie mich gerne kontaktieren.

Michael Ziedrich Rechtsanwalt
Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht · Fachanwalt für Verkehrsrecht · Rechtsanwalt
Bergstraße 128-130, 58095 Hagen
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