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Kategorie: Anwalt Strafrecht ,
29.08.2025 (Lesedauer ca. 7 Minuten, 20826 mal gelesen)
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Notwehr: Wann darf ich mich bei einem Angriff verteidigen?

Notwehr: Wann darf ich mich bei einem Angriff verteidigen? © mko - topopt

Ob eine Bedrohung auf der Straße, ein Angriff in der Kneipe oder ein Einbrecher in den eigenen vier Wänden - in solchen Momenten stellt sich die Frage: Darf ich mich verteidigen und wenn ja, wie weit darf ich gehen? Mit welchen Mitteln darf ich mich wehren? Und was ist ein Notwehrexzess?

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Was bedeutet Notwehr?


Notwehr ist im Strafgesetzbuch definiert. Danach ist „Notwehr die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich selbst oder einem anderen abzuwenden“. Wer aufgrund der Notwehr eine Straftat begeht, handelt laut Gesetz nicht rechtswidrig. Das Strafrecht stellt Notwehr grundsätzlich nicht unter Strafe. Nach § 32 StGB ist Notwehr eine erforderliche Verteidigung in einer Notwehrlage.
Kurz gesagt: Wer angegriffen wird, muss nicht tatenlos bleiben, sondern darf sich schützen.

Welche Voraussetzungen müssen bei Notwehr erfüllt sein?


Damit eine Verteidigung bei einem Angriff als Notwehr gilt, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. So muss eine Notwehrlage vorliegen, also ein gegenwärtiger Angriff, die Notwehrhandlung muss erforderlich und geboten sein, dem Opfer muss seine Notwehrlage auch bewusst sein und es muss einen Verteidigungswillen haben.

1. Besteht eine Notwehrlage?


Ein Mensch befindet sich in einer Notwehrlage, wenn er einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf individuelle Rechtsgüter, wie körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Eigentum, ausgesetzt ist. Angegriffen und bedroht werden können nicht nur die körperliche Unversehrtheit eines Menschen, sondern auch beispielsweise seine Ehre. Daher kann Notwehr auch bei Beleidigungen vorliegen. Auch das Hausrecht ist ein notwehrfähiges Rechtsgut, entschied das Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth (Az. 13 S 8728/94). Verlässt ein Besucher trotz Aufforderung nicht das Haus, kann der Hausherr ihn mit Anwendung von Gewalt entfernen.
Der Angriff ist gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht, schon begonnen hat oder noch andauert. Während dieser Zeitspanne ist eine Notwehrhandlung legitim.

2. Ist die Notwehr erforderlich und geboten?


Eine Notwehrhandlung ist erforderlich und geboten, wenn sie das mildestes zur Verfügung stehende Verteidigungsmittel wählt, um den Angriff sicher zu beenden.
Im Fall zweier junger Männer, bei der im Rahmen einer Auseinandersetzung ein Mann einem anderen ins Gesicht schlug und daraufhin der Freund des Geschlagenen seinen Bierkrug nahm und diesen gegen den Kopf des Angreifers haute, hielt das Oberlandesgericht (OLG) Hamm (Az. 1 RVs 38/13) dies für eine erforderliche Notwehrhandlung. Laut Gericht darf ein Opfer einen Angriff mit dem mildesten Mittel abwehren, dass ihm in der Situation zur Verfügung steht um den Angriff sofort zu beenden. Das Opfer muss dabei kein Verteidigungsmittel wählen, dass eine zweifelhafte Wirkung hat und den Kampf mit dem Angreifer ungewiss macht. Das Gericht sprach den Bierkrug-Schläger von einer Körperverletzung frei. Seine Tat sei durch Nothilfe gerechtfertigt gewesen. Er habe mit seinem Angriff seinem Freund helfen und weiter Schläge des Angreifers verhindern wollen. Die Notwehrhandlung sei auch erforderlich gewesen, um den Angriff des Schlägers endgültig abzuwehren. Er habe auch nicht auf mildere Verteidigungsmittel, wie etwa Wegschubsen, zurückgreifen müssen, da damit der Ausgang des Kampfes ungewiss gewesen wäre. Der Schlag mit einem Bierkrug sei hingegen geeignet gewesen den Kampf endgültig zu beenden.

3. Ist dem Angriffs-Opfer die Notwehrsituation bewusst und will es Rechtsgüter verteidigen?


Weiterhin ist es notwendig, dass das Angriffs-Opfer sich seiner Notwehrlage bewusst ist und das angegriffene Rechtsgut auch verteidigen will.

Welche Verteidigung ist erlaubt?


Grundsätzlich darf man so viel Gewalt anwenden, wie nötig ist, um den Angriff zu beenden. Es gilt nicht die Pflicht, zuerst sanfte Maßnahmen auszuprobieren. Entscheidend ist, dass die Abwehr angemessen und notwendig erscheint.
Erlaubt ist etwa Wegstoßen oder Festhalten bei einer körperlichen Attacke oder der Einsatz von Pfefferspray, wenn ein Angriff anders nicht abgewehrt werden kann. Im Extremfall ist auch schwere Gewalt erlaubt, wenn gar keine andere Möglichkeit bestand den Angriff zu beenden.
Die Notwehr findet ihre Grenzen, wenn die Verteidigung unverhältnismäßig war Etwa bei tödlicher Gewalt wegen eines Schubsers. Wer also weit über das Ziel hinausschießt, riskiert selbst strafrechtliche Konsequenzen.

Mit welchen Mitteln darf man sich gegen einen Angriff wehren?


Die Bandbreite von Notwehrmitteln reicht von einfachen Abwehrhandlungen bis hin zu intensiven Mitteln und ist abhängig von der Gefahrensituation.
Bei körperlicher Abwehr ist es das Festhalten, Wegstoßen oder Blocken. Hilfsmittel im Alltag wie Schirm, Tasche oder andere Gegenstände, können zur Notwehr eingesetzt werden, um sich zu schützen. Auch Pfefferspray oder CS-Gas sind erlaubt, wenn sie zur Abwehr eingesetzt werden.
Wichtig: In Deutschland dürfen Schusswaffen oder Messer zur Notwehr nur eingesetzt werden, wenn kein anderes Mittel den Angriff abwenden kann und eine ernste Gefahr besteht.
Gut zu wissen: Das Gesetz verlangt nicht, dass man zuerst jede harmlosere Möglichkeit ausprobiert. Wer angegriffen wird, darf sofort ein wirksames Mittel einsetzen, solange es erforderlich ist, den Angriff zu stoppen. Man muss nicht erst versuchen, einen Angreifer höflich zu bitten oder wegzurennen, wenn sofortige Gefahr besteht.
Wird ein Pädagoge von einem Erstklässler geschlagen und bespuckt, darf er sich im Rahmen seiner Notwehr mit einer Ohrfeige wehren, entschied das OLG Düsseldorf (Az. 1 Ws 63/16).
Wer einen anderen Menschen aus nächster Nähe Zigarettenrauch absichtlich ins Gesicht bläst, begeht eine strafrechtlich relevante Beleidigung und Körperverletzung. Der Angeblasene darf sich im Rahmen der Notwehr mit dem Wurf eines Glases gegen den Raucher wehren, entschied das Amtsgericht (AG) Erfurt (Az. 910 Js 1195/13 48 Ds).
Eine Waffe darf das Opfer nur einsetzen, wenn es zuvor den Waffengebrauch angekündigt hat und danach einen Schuss in nicht lebensbedrohliche Körperteile absetzt. Hört der Angreifer dann immer noch nicht aus, kann das Opfer auch den Tod des Angreifers beim Waffengebrauch in Kauf nehmen.
Faustregel: In einer Notwehrsituation nur so viel Gewalt wie nötig, nicht mehr.

Gibt es ein Recht auf Notwehr auch bei Provokation zum Angriff?


Zunächst gilt: Auch wer einen Streit provoziert, verliert sein Notwehrrecht nicht automatisch. Beleidigt jemand etwa eine andere Person und wird daraufhin körperlich angegriffen, ist der Angriff trotz der Provokation rechtswidrig und der Angegriffene darf sich verteidigen.
Das Strafrecht unterscheidet, wie schwerwiegend die Provokation war. Wer bewusst eine Situation herbeiführt, um einen Angriff zu provozieren und dann Gewalt anzuwenden, kann sich nicht auf Notwehr berufen.
Bei einer fahrlässigen oder leichtfertigen Provokation bleibt das Notwehrrecht zwar bestehen, es wird aber eingeschränkt. Die Verteidigung darf dann nur so weit gehen, wie sie unbedingt erforderlich ist, um den Angriff abzuwehren. Rückzug oder Deeskalation sind hier vorrangig anzuwenden. Im Fall einer Provokation wird vom Angegriffenen erwartet, dass er zunächst ausweicht oder die Situation entschärft, bevor er Gewalt anwendet. Erst wenn das nicht möglich ist, darf er aktiv Notwehr üben.
Provoziert jemand eine Körperverletzung, kann er sich nachher nicht auf sein Notwehrrecht berufen. Dies stellt das AG Frankfurt/Main (Az. 980 Ds 858 Js 24821/20) in folgendem Fall klar: Zwischen einem Pizzalieferanten und einem betrunkenen Kunden kam es zu einem Streit mit Handgreiflichkeiten wegen einer verspäteten Pizzalieferung. Als der Pizzalieferant schon 20 Meter vom Kunden entfernt war, rief er ihm zu: „Komm doch“ Wehr Dich!“ woraufhin der körperlich unterlegene Kunde kam und zu einem Schlag ausholte. Der Pizzalieferant schlug den Kunden daraufhin gegen dessen Kopf und dieser stürzte auf die Straße. Der Pizzalieferant wurde vom Gericht wegen Körperverletzung verurteilt. Das Gericht lehnte ein Notwehrrecht des Schlägers ab, da die Grenzen der rechtfertigenden Notwehr aufgrund der Provokation überschritten wurden. Er hätte dem Angriff ausweichen oder sich auf eine Schutzabwehr beschränken müssen.

Was versteht man unter einem Notwehrexzess?


Von einem Notwehrexzess spricht man, wenn das Opfer in einer Notwehrlage Verteidigungsmittel wählt, die zur Abwehr über das gebotene Maß hinausschießen. Der Notwehrexzess beschreibt also Fälle, in denen jemand im Affekt zu stark oder zu lange zurückschlägt. Grundsätzlich überschreitet er damit die Grenzen der Notwehr. Etwa ein Einbrecher flieht bereits, doch der Bewohner greift ihn trotzdem noch an. In diesem Fall handelt das Opfer rechtswidrig und kann bestraft werden.
Unterschieden wird beim Notwehrexzess in quantitativer Exzess, wenn die Verteidigung übermäßig stark ist, extensiver Exzess:, wenn die Verteidigung zu spät oder zu früh erfolgt, also bevor der Angriff beginnt oder nachdem er bereits vorbei ist sowie intensiver Exzess, wenn die Mittel der Abwehr völlig überzogen im Verhältnis zum Angriff sind.
Wer den Exzess aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken begeht, handelt zwar rechtswidrig, bleibt aber straffrei. Die übermäßige Verteidigung ist also entschuldigt, wenn sie durch eine extreme emotionale Ausnahmesituation ausgelöst wurde.
So stellt das Freihalten eines Parkplatzes durch einen Fußgänger für den Autofahrer zwar eine Notwehrlage dar, er darf diesen aber nicht mit seiner Stoßstange umschubsen, so dass der Fußgänger zu Fall kommt, entschied das Bayerische Oberste Landesgericht (Az. 2 St RR 239/94). Hier hat der Autofahrer die Grenzen der Notwehr überschritten.
Der BGH (Az. 4 StR 327/24) stellt klar, dass die Grenzen eines Notwehrexzesses überschritten werden, wenn die vermeintliche Panikreaktion durch Wut und Verärgerung beeinflusst oder dominiert wurde und sich der Notwehrende durch Alkoholkonsum in einem aggressiven Zustand befand, "voll Bock auf Stress“ hatte und das Opfer nur deshalb attackierte.

Was ist mit putativer Notwehr gemeint?


Manchmal glaubt jemand nur, angegriffen zu werden, obwohl objektiv gar keine Gefahr besteht. Genau hier kommt der Begriff putative Notwehr ins Spiel. Putative Notwehr oder auch „scheinbare Notwehr“ liegt vor, wenn jemand irrtümlich annimmt, sich in einer Notwehrsituation zu befinden, obwohl tatsächlich kein rechtswidriger Angriff vorliegt. Zum Beispiel, wenn ein Mann sieht, wie jemand hastig in seine Jackentasche greift und glaubt, es sei ein Messer. In Wahrheit holt der andere nur sein Handy heraus.
Dieser Irrtum beruht auf einer falschen Wahrnehmung oder Fehleinschätzung der Situation. In solchen Fällen wird vom Gericht geprüft, ob der Irrtum vermeidbar war, ob eine nachvollziehbare Angst- oder Stresssituation vorlag und ob der Handelnde angemessen auf die wahrgenommene Situation reagiert hat.

Gibt es auch eine Notwehr für Dritte?


Auch die Verteidigung von anderen Personen vor einem rechtswidrigen Angriff ist durch die Notwehrregelung gedeckt. Man spricht dann von der sog. Nothilfe.
Als Voraussetzung für eine rechtmäßige Nothilfe muss ein tatsächlicher, gegenwärtiger und rechtswidriger Angriff auf eine andere Person vorliegen. Gegenwärtig bedeutet, dass der Angriff unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch andauert. Weiterhin darf der Angriff nicht legal oder gerechtfertigt sein. Das wäre er etwa der Fall, wenn ein Polizist jemanden rechtmäßig festnimmt.
Es muss ferner um den Schutz eines berechtigten Rechtsguts gehen, das wären Leib und Leben, Eigentum oder die Freiheit eines Dritten.
Die Verteidigungshandlung muss zudem geeignet sein, den Angriff abzuwehren, und es darf kein milderes Mittel zur Verfügung stehen. Die Wahl der Mittel muss sich an der Dringlichkeit der Abwehr orientieren. Mildere Mittel müssen bevorzugt werden, wenn sie ausreichend erscheinen. Damit gemeint sind verbale Warnungen oder das Wegdrängen des Angreifers. Härtere Mittel zur Nothilfe sind nur dann zulässig, wenn keine andere Möglichkeit besteht, den Angriff zu stoppen. Härtere Mittel sind etwa körperliche Gewalt oder der Einsatz von Hilfsmitteln wie Pfefferspray. Die Abwehrhandlung darf nicht offensichtlich überzogen sein.
Wichtig für eine rechtmäßige Nothilfe ist auch, dass der Helfer in dem Bewusstsein handelt, eine andere Person schützen zu wollen. Handelt er aus anderen Motiven, wie zum Beispiel aus persönlicher Rache, entfällt die Rechtfertigung.
Für die Nothilfe ist nicht die Zustimmung des Dritten notwendig. Der Schutz kann auch ohne Zustimmung der bedrohten Person erfolgen.
Aufgepasst: Die Nothilfe entfällt, wenn der Dritte selbst den Angriff rechtswidrig provoziert hat.

erstmals veröffentlicht am 25.05.2017, letzte Aktualisierung am 29.08.2025

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