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Kategorie: Anwalt Immobilienrecht , 15.09.2017 (Lesedauer ca. 13 Minuten, 24702 mal gelesen)

Anfechtung und Rückabwicklung eines notariellen Kaufvertrages über eine Immobilie

Kann bei Immobilienkaufverträgen ohne weiteres der Rücktritt erklärt und der Vertrag rückabgewickelt werden? Wann besteht ein Recht zur Anfechtung des Immobilienkaufvertrages?

Soweit der notarielle Vertrag über eine gebrauchte Immobilie (Mehrfamilienhaus, Einfamilienhaus, Wohnung etc.) einmal geschlossen wurde, kann er nicht mehr ohne weiteres rückabgewickelt werden. Vielmehr bedarf es hierfür in der Regel besonderer Gründe. In Betracht kommen z .B. ein vertraglich vereinbartes Rücktrittsrecht, ein gesetzliches Rücktrittsrecht oder ein Recht zur Anfechtung des Kaufvertrages.

Rücktritt und Anfechtung trotz vertraglichem Ausschluss der Gewährleistung?



Grund dafür, dass bei Immobilienkaufverträgen nach Abschluss des notariellen Kaufvertrages in der Regel keine Gewährleistungsrechte wie z. B. ein Rücktritt mehr geltend gemacht werden können, ist der fast immer vertraglich aufgenommene Ausschluss der Sachmängelhaftung.

Unter bestimmten Voraussetzungen kann aber etwas anderes gelten:

a) Vertraglich vereinbartes Recht zum Rücktritt

Wurde im notariellen Immobilienkaufvertrag ein Recht zum Rücktritt vertraglich vereinbart, so steht dem jeweiligen Vertragspartner ein Recht zum Rücktritt zu, sobald die vertraglich vereinbarten Voraussetzungen des Rücktritts erfüllt sind. Eine solche Vereinbarung ist in Standardkaufverträgen eher die Ausnahme.

b) Gesetzliches Recht zum Rücktritt bei Vereinbarung einer Beschaffenheit

Eine Beschaffenheitsvereinbarung liegt vor, wenn nach dem Inhalt des Kaufvertrages in Bezug auf eine Eigenschaft oder einen der Sache anhaftenden tatsächlichen, wirtschaftlichen Umstand in eindeutiger Weise die Pflicht des Verkäufers bestimmt ist, die gekaufte Sache in dem Zustand zu übereignen und zu übergeben, wie ihre Beschaffenheit im Vertrag festgelegt ist (vgl. BGH NJW 2008, 1517; OLG Schleswig, Urteil vom 13.03.2015, 17 U 98/14).

Wurde bisher die Rechtsauffassung vertreten, dass eine solche Beschaffenheitsvereinbarung auch vorvertraglich, d. h. ohne dass sie im Vertrag erwähnt wird, ausdrücklich oder konkludent getroffen werden kann (vgl. z.B. OLG Saarbrücken, Urteil vom 01.12.2011, 8 U 450/10-121), hat der Bundesgerichtshof nunmehr in seiner Enscheidung vom 06.11.2015 entschieden, dass eine Beschreibung von Eigenschaften eines Grundstücks oder Gebäudes vor Vertragsschluss durch den Verkäufer, die in der notariellen Urkunde keinen Niederschlag findet, in der Regel nicht zu einer Beschaffenheitsvereinbarung gemäß § 434 Abs. 1 S. 1 BGB führt (BGH, Urteil vom 06.11.2015, V ZR78/14).

In Ergänzung dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof mit weiterem Urteil vom 22.04.2016 entschieden, dass für Eigenschaften, die der Käufer nach öffentlichen Äußerungen des Verkäufers, z. B. im Internet, eigentlich erwarten könne, nichts anderes gilt (vgl. BGH, Urteil vom 22.04.2016, V ZR 23/15).

Denn der in der Verhandlung vor dem Notar zu beurkundende Entwurf des Kaufvertrages bildet eine Zäsur. Die Parteien können nicht davon ausgehen,  dass im Vorfeld des Vertrages über das Grundstück oder das auf ihm stehende Gebäude zum Inhalt der vertraglichen Verpflichtungen werden, wenn die geschuldete Beschaffenheit im Kaufvertrag nicht erwähnt wird (vgl. BGH, Urteil vom 06.11.2015, V ZR78/14;vgl. BGH, Urteil vom 22.04.2016, V ZR 23/15).

Dabei ist aber zu beachten, dass nach Ansicht  des Bundesgerichtshofs schon die Bezugnahme des notariellen Kaufvertrages auf vorvertraglich vorgelegte Urkunden ausreichen kann, um deren Inhalt als Bescheaffenheitsvereinbarung auch zum Gegenstand des No-tarvertrages zu machen (BGH, Urteil vom 06.11.2015, V ZR 78/14).

Beispielhaft seien für Beschaffenheitsvereinbarungen die Wohnfläche (vgl. z.B. OLG Saarbrücken, Urteil vom 01.12.2011, 8 U 450/10-121) oder auch Mieteinnahmen bei einem Mehrfamilienhaus als mögliche Beschaffenheitsmerkmale des Objektes genannt. Wurde eine Beschaffenheitsvereinbarung über Mieteinnahmen getroffen, so erstreckt sich dies nicht nur darauf, dass die im einzelnen aufgeführten Beträge  im Zeitpunkt des Gefahrübergangs tatsächlich gezahlt werden, sondern dem objektiven Erklärungswert nach auch darauf, dass die Mieten erzielt werden dürfen. Der Käufer kann eine dahingehende Vereinbarung nämlich nach Treu und Glauben nur dahingehend verstehen, dass es sich bei den angegebenen Mieteinnahmen um Erträge handelt, die aus einer zulässigen Vermietung erzielt werden. Denn Grundlage für die bei dem Kauf eines Mietshauses bedeutsame Bemessung der Ertragsfähigkeit und damit für die Wertschätzungdes Grundstücks können in der Regel nur solche Einnahmen sein, die aus einer baurechtlich zulässigen Vermietung herrühren, es sei denn der Käufer wäre darüber aufgeklärt worden, dass es sich um Einnahmen aus rechtlich unzulässiger Nutzung handelt. Nur in diesem Fall kann der Käufer vor Abschluss des Kaufvertrages entscheiden,  ob er das mit dem Erwerb verbundene, die Erreichung des Vertragszwecks erheblich gefährdende Risiko des Wegfalls von Mieteinnahmen bei unzulässiger Nutzung übernehmen will (vgl. BGH, Urteil vom 22.06.1990, V ZR 126/89). Gleichfalls kann das Baujahr des Objektes oder auch der Umstand, dass bei der Errichtung ein älteres Bauteil integriert worden ist, eine Beschafenheit darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 22.04.2016, V ZR 23/15).

Wurde hiernach in dem notariellen Kaufvertrag ausdrücklich oder ggf. durch Bezugnahme auf Urkunden eine Beschaffenheit des Kaufgegenstandes vereinbart und ist gleichzeitig im Notarvertrag ein pauschaler Ausschluss der Sachmängelhaftung vereinbart, ist dies regelmäßig dahin auszulegen, dass der Haftungsausschluss nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit gilt (§ 434 Abs. 1 Satz 1 BGB), gilt (vgl. BGH Urteil vom 29.11.2006, VIII ZR 92/06). Soweit daher in diesem Fall die vereinbarte Beschaffenheit der Sache nicht gegeben ist, stehen dem Käufer die üblichen Gewährleistungsansprüche (Rücktritt, Minderung und Schadens-ersatzanspruch) zu.

c) Recht zum Rücktritt und Anfechtung des Immobilienkaufvertrages bei arglistigem Handeln oder Unterlassen des Verkäufers

Ein vereinbarter Gewährleistungsausschluss greift auch dann nicht, wenn dem Verkäufer ein Mangel vor Abschluss des Vertrages bekannt war, der Käufer diesen nicht kannte und der Verkäufer den Mangel arglistig nicht offengelegt hat. In diesem Fall hat der Käufer sowohl die Möglichkeit der Anfechtung des Immobilienkaufvertrages, als auch die Möglichkeit Gewährleistungsansprüche, wie    z. B. Rücktritt, Minderung oder Schadensersatz geltend zu machen.

Arglist setzt nach der ständigen Rechtsprechung des BGH zumindest Eventualvorsatz voraus; leichtfertige oder grob fahrlässige Unkenntnis genügt dagegen nicht. Ein arglistiges Verschweigen ist danach nur gegeben, wenn der Verkäufer den Mangel kennt oder ihn zumindest für möglich hält und zugleich weiss oder doch damit rechnet oder billigend in Kauf nimmt, dass der Käufer den Mangel nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte. Dagegen genügt es nicht, wenn sich dem Verkäufer das Vorliegen aufklärungspflichtiger Tatsachen hätte aufdrängen müssen, weil dann die Arglist vom Vorsatz abgekoppelt und der Sache nach durch leichtfertige oder grob fahrlässige Unkenntnis ersetzt würd (vgl. BGH, Urteil vom 22.04.2016, V ZR 23/15). Dass selbst ein bewusstes Sichverschließen nicht den Anforderungen genügt, die an die Arglist zu stellen sind, hat der Senat bereits entschieden ( vgl. BGH, Urteil vom 12.04.2013, V ZR 266/11). Eine Gleichstellung mit der Kenntnis kommt lediglich in Betracht, soweit es bei bestimmten Tatbestandsmerkmalen um eine rechtliche (Gesamt-)Bewertung von Tatsachen geht. So erfordert etwa die Kenntnis davon, nicht zum Besitz berechtigt zu sein (§990 I 2 BGB) oder etwas rechtsgrundlos empfangen zu haben (§ 819 I BGB) nicht nur das Wissen um die tatsächlichen Umstände, aus denen auf die Nichtberechtigung zu schließen ist, sondern auch die Kenntnis dieser Rechtsfolge selbst (vgl. BGH, Urteil vom 12.04.2013, V ZR 266/11). Erforderlich ist dabei stets die Kenntnis der den Mangel begründenden Umstände zumindest in der Form des Individualvorsatzes. Im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens muss diese Kenntnis festgestellt werden; sie kann nicht durch wertende Überlegungen ersetzt werden. Liegt eine solche Kenntnis vor, ist es allerdings unerheblich, ob der Käufer daraus den Schluss auf einen Mangel im Rechtssinne zieht (vgl. BGH, Urteil vom 22.04.2016, V ZR 23/15).

Bei Verkauf einer Immobilie besteht die Pflicht nur zur Offenbarung verborgener Mängel oder von Umständen, die nach der Erfahrung auf die Entstehung und Entwicklung bestimmter Mängel schließen lassen, wenn es sich um Umstände handelt, die für den Entschluss des Käufers von Bedeutung, insbesondere die beabsichtigte Nutzung erheblich zu mindern geeignet sind. Vor allem wesentliche Fehler einer Kaufsache dürfen daher regelmäßig nicht verschwiegen werden.

Wesentliche Fehler einer Kaufsache, die der Verkäufer grds. auch ungefragt zu offenbaren hat und die bei nicht erfolgter Offenlegung das Recht zum Rücktritt oder zur Anfechtung des Immobilienkaufvertrages begründen:



- Feuchtigkeitsschäden
Der Verkäufer ist verpflichtet, ungefragt einen Mangel in der Außenabdichtung zu offenbaren, wenn er zumindest mit dem Auftreten von Feuchtigkeitsschäden rechnet, also einen Verdacht hat. Dies muss er auch dann, wenn ein bereits erfolgter Sanierungsversuch zweifelhaft erscheint oder der Verkäufer zumindest mit dem Auftreten von Feuchtigkeitsschäden rechnet (Saarländisches OLG, Urteil vom 06.02.2013, 1 U 132/12-37).

Ein kurz vor Veräußerung durchgeführter Sanierungsversuch ist dabei bereits dann zweifelhaft, wenn der Verkäufer die Sanierungsarbeiten durch Dritte durchführen lässt, wobei ihm nicht bekannt ist, über welche fachlichen Qualifikationen der Ausführende, dessen Arbeiten der Verkäufer auch nicht überprüft, verfügt. In diesem Fall muss der Verkäufer mit einem Fortbestehen des Mangels rechnen (Saarländisches OLG, Urteil vom 06.02.2013, 1 U 132/12-37).

Zwar muss der Käufer eines älteren Hauses, welches zu einer Zeit errichtet wurde, zu  welcher die Anforderungen an Feuchtigkeitsabdichtungen wesentlich andere waren als heute, mit möglichen Abweichungen vom heutigen Standard rechnen. Jedoch ist entscheidend, ob der Rechtsverkehr im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein älteres Wohnhaus für die gewöhnliche bzw. nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung als uneingeschränkt geeignet ansieht. Dabei kann von Bedeutung sein, ob ein Haus in saniertem Zustand verkauft wurde, ob der Keller Wohnzwecken dient, welcher Zustand bei der Besichtigung erkennbar war und wie stark die Feuchtigkeitserscheinungen sind (BGH, Urteil vom 7.11.2008, V ZR 138/07; BGH, Urteil vom 16.03.2012, V ZR 18/11).

- Vorhandensein  von Hausschwamm
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Verkäufer den Käufer nicht nur über einen aktuell vorliegenden Befall mit Hausschwamm informieren. Er hat auch darüber aufzuklären, dass ein solcher einmal vorhanden war. Dies gilt auch dann, wenn er technisch Einwandfrei beseitigt wurde (BGH, Urt. vom 10.12.2010, V ZR 203/09).

Soweit allerdings der Schwammbefall beseitigt wurde, liegt nur dann ein aufklärungspflichtiger Mangel vor, wenn nach der maßgeblichen Verkehrsanschauung befürchtet wird, dass die Schäden sich doch nachteilig auswirken könnten, und deshalb Sachen, bei denen solche Schäden aufgetreten waren, niedriger bewertet werden, als unbeschädigt gebliebene, selbst wenn im Einzelfall die Befürchtung eines Folgeschadens unbegründet ist (vgl. BGH, Urteil vom 10.12.2010, V ZR 203/09; BGH, Urteil vom 20.06.1968, III ZR 32/66).

Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geht zurück auf Entscheidungen des Reichsgerichts. Dieses ist davon ausgegangen, dass schon nach dem damaligen Stand der Technik, auch der sog. echte Hausschwamm vollständig beseitigt werden kann. Allerdings muss, solange sich die Anschauungen des Verkehrs dieser Erkenntnis nicht angeschlossen haben und noch mit der Besorgnis der Wiederkehr des Schwammes hiernach gerechnet wird, die Ursache dieser Besorgnis, d. h. der Verdacht, dass das Haus von neuem von dem Schwamm befallen werden könnte, als ein den Verkehrswert des Grundstücks erheblich mindernder Fehler angesehen werden. Diese Verkehrsanschauung kann allerdings den Verkehrswert eines Grundstücks nur in den Gegenden nachteilig beeinflussen, wo sie noch besteht.  Dabei ist es keine Rechtsfrage, sondern eine Frage tatsächlicher Beurteilung, ob nach Beseitigung des Schwammes noch eine Schwammverdächtigkeit besteht und dass die Beantwortung dieser Frage abhängt von der jeweiligen Einsicht in die Natur des Schwamms, insbesondere in den in der Wissenschaft und des Verkehrs über die Möglichkeit seiner vollständigen und nachhaltigen Beseitigung bestehenden Anschauungen. Soweit damit "objektiv" die Befürchtung der Wiederkehr, auch nach den Anschauungen des Verkehrs, nicht besteht, kann ein Minderwert nicht damit begründet werden, dass ein Teil der Kaufinteressenten, eine angebliche Schwammverdächtigkeit als Vorwand nimmt, den Preis zu drücken. Der Schwammverdacht und damit ein Fehler der Kaufsache besteht damit nicht, wenn festgestellt werden kann, dass die Voraussetzungen für die endgültige Beseitigung gegeben sind, eine solche durchführbar ist und die Verkehrsanscheuung sich dieser wissenschaftlichen und technischen Erkenntnis angeschlossen hat (vgl. RGZ 85, 252).

- gesundheitsschädliche Materialien
Baustoffe, die bei der Errichtung eines Wohnhauses gebräuchlich waren, später aber als gesundheitsschädlich erkannt worden sind -z. B. Asbest-, können einen Mangel der Kaufsache begründen, der ungefragt zu offenbaren ist; Fragen des Vertragspartners müssen vollständig und richtig beantwortet werden (BGH, Urt. vom 27.03.2009, V ZR 30/08).

- Belastung des Grundwassers
Wird ein zu Wohnzwecken genutztes Grundstück von Grundwasser durchströmt, welches mit Giftstoffen belastet ist, kann dies einen Sachmangel darstellen (BGH, Urt. vom 30.11.2012, V ZR 25/12).

- Kontamination eines Grundstücks mit Öl
Die Kontaminierung eines Grundstücks mit Öl stellt einen offenbarungspflichtigen Umstand dar; der Verkäufer handelt arlistig, wenn er diesen Umstand verschweigt, obwohl er ihn kennt oder zumindest für möglich hält (BGH, Urteil vom 22.02.2002, Az.: V ZR 113/01).

- Fehlen einer Baugenehmigung (BGH, Urt. vom 12.04.2013, V ZR 266/11)

- nicht erfolgte Anzeige gegenüber der Baubehörde bei anzeigepflichtigem Bauvorhaben (BGH, Urteil vom 27.06.2014, V ZR 55/13)

- eine vorhandene, aber nicht mitgeteilte Baulast (BGH, Urt. vom 15.07.2011, V ZR 171/10)

- je nach den Umständen des Einzelfalls eine erhebliche Zerstrittenheit unter den Mitgliedern einer Wohnungseigentümergemeinschaft

 - im Einzelfall falsche Angaben zu bestehenden Mietverhältnissen und/oder der vereinbarten Mieten (BGH, Urteil vom 26.02.1993, V ZR 270/91; BGH, Urteil vom 05.10.2014, V ZR 275/00)

- je nach den Umständen des Einzelfalls eine Abweichung der Wohnfläche.

- je nach den Umständen des Einzelfalls die falsche Angabe des Baujahres (vgl. BGH, Urteil vom 22.04.2016, V ZR 23/15; OLG Rostock, Urt. vom 10.09.2009, 3 U 229/08, OLG Hamm, Urt. vom 29.04.2010, Az.: 127/09).

Nach Ansicht des OLG Hamm, Urteil vom 02.03.2017, 22 U 82/16, liegt ein Mangel vor, wenn das Objekt statt, wie im Notarvertrag als Beschaffenheit vereinbart, nicht Baujahr 1997, sondern Baujahr 1995 ist. Begründet wird dies mit der kürzen Restnutzungsdauer, welche auch Auswirkungen auf den Verkehrswert hat. Nach dieser Entscheidung ist schon bei einer Abweichung von lediglich zwei Jahren die Bagatellgrenze überschritten, so dass auch ein Rücktritt des Käufers in Betracht kommt (IMR 2017, 200).

- je nach den Umständen des Einzelfalls Integration eines älteren Bauteils -hier Außenwand- bei der Errichtung eines Bauwerks (vgl. BGH, Urteil vom 22.04.2016, V ZR 23/15)

- sehr starker Befall mit Silberfischen (vgl. LG Frankenthal,Urteil vom 18.12.2013, Az.: 6 O 420/12)

- akuter Marderbefall (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 13.02.2017, 22 U 104/16, IMR 2017 201).  Nach der Entscheidung kommt es dabei nicht darauf an, ob der Marder bereits -oder überhaupt- größere Schäden verursacht hat. Grund hierfür ist, dass bei einem aktuten Marderbefall Maßnahmen zu ergreifen sind, um diesen zu vertreiben, wie z. B. das Verschließen der benutzten Zugangswege.

In folgenden Fällen lag nach Ansicht der Gerichte kein offenbarungspflichtiger Mangel vor:



- weiter in der Vergangenheit zurückliegender Marderbefall (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 13.02.2017, 22 U 104/16, IMR 2017 201). Ein beim Verkauf mehr als sechs Jahre zurückliegender Marderbefall stellt keinen Mangel dar. Denn es existiert nach der Verkehrsanschauung keine allgemeine Vermutung, dass Marder nach Jahren der Abwesenheit wieder an Ort des ehemaligen Befalls zurückkehren. Aus diesem Grund scheidet eine Offenbarungspflicht auch unter dem Gesichtspunkt des Mangelverdachts aus, was nur bei einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit erneuter Vorkommnisse der Fall wäre.

- Fachwerkhaus statt Massivhaus (LG Dortmund, Urteil vom 03.02.2017, 17 S 125/16, IMR 2017, 202).  Der Makler hatte darauf hingewiesen, das Haus sei massiv gebaut. Eingang in den Notarvertrag hatte dies nicht gefunden. Dass ein Haus in Fachwerkbauweise errichtet worden ist, stellt nicht per se einen Mangel dar. Es ist zum bewohnen geeignet.

Müssen die Mängel ein gewisses Gewicht haben, um ein Recht des Käufers zum Rücktritt oder zur Anfechtung zu begründen?



Eine den Rücktritt ausschließende unerhebliche Pflichtverletzung ist in der Regel zu verneinen, wenn der Verkäufer über das Vorhandensein eines Mangels arglistig getäuscht hat. Denn wird der Abschluss eines Vertrages durch arglistiges Verhalten einer Partei herbeigeführt, so verdient deren Vertrauen in den Bestand des Rechtsgeschäfts keinen Schutz. Vielmehr bleibt es bei diesen Fällen bei dem allgemeinen Vorrang des Gläubigerinteresses an einer Rückabwicklung des Vertrages, ohne dass es hierzu einer weiteren Abwägung bedürfte. Etwas anderes kann im Einzelfall dann gelten, wenn die Pflichtverletzung des Verkäufers trotz Vorliegens einer arglistigen Täuschung derart unbedeutend ist, dass eine verständige Vertragspartei ohne weiteres am Vertrag festhalten würde -was bei Mängeln mit Bagatellcharakter in Betracht zu ziehen ist- (BGH, Urt. vom 24.03.2006, V ZR 173/05).

Etwas anderes gilt dann, wenn der Verkäufer nicht arglistig oder vorsätzlich getäuscht hat, sondern „bloß“ eine vertraglich vereinbarte Beschaffenheit nicht vorliegt. In diesem Fall reicht eine bloß unerhebliche Pflichtverletzung für § 323 BGB nicht aus.

Anfechtung und Rücktritt auch bei offensichtlichen Mängeln?



Bei den Mängeln, die einer Besichtigung zugänglich und damit ohne weiteres erkennbar sind, besteht dagegen keine Offenbarungspflicht. Der Käufer kann insoweit eine Aufklärung nicht erwarten, weil er diese Mängel bei der im eigenen Interesse gebotenen Sorgfalt selbst wahrnehmen kann (BGH, Urt. vom 16.03.2012, V ZR 18/11).

Rücktritt auch dann, wenn der verschwiegene Sachmangel für den Willensentschluss des Käufers nicht ursächlich war?



Dem Verkäufer ist die Berufung auf einen vereinbarten Haftungsausschluss gemäß     § 444 BGB verwehrt, wenn er einen Sachmangel arglistig verschwiegen hat. Darauf, ob der Sachmangel für den Willensentschluss des Verkäufers ursächlich war, kommt es nicht an.

Aufklärungspflicht des Verkäufers bei Übergabe von Unterlagen vor Vertragsschluss erfüllt und damit das Recht zum Rücktritt und der Anfechtung ausgeschlossen?



Die Übergabe von Unterlagen reicht nur dann zur Erfüllung der Aufklärungspflicht des Verkäufers aus, wenn er aufgrund der Umstände die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer die Unterlagen nicht nur zum Zwecke allgemeiner Information, sondern unter einem bestimmten Gesichtspunkt gezielt durchsehen wird. Solche Umstände liegen z. B. vor, wenn der Verkäufer dem Käufer im Zusammenhang mit möglichen Mängeln ein Sachverständigengutachten überreicht (BGH, Urt. vom 11.11.2011, V ZR 245/10).

Beweislast im gerichtlichen Verfahren über den Rücktritt oder die Anfechtung des Immobilienkaufvertrages?



Soweit sich der Käufer auf Arglist oder Vorsatz des Verkäufers stützt, trägt er für den gesamten Arglisttatbestand die Darlegungs- und Beweislast. Er muss vortragen und nachweisen, dass der Verkäufer ihn nicht gehörig aufgeklärt hat. Er muss insoweit die vom Verkäufer vorzutragende konkrete, d. h. räumlich, zeitlich und inhaltlich spezifizierte Aufklärung wiederlegen (BGH, Urteil vom 20.10.2000, V ZR 285/99).

Behauptet der Verkäufer, einen durch vorheriges aktives Tun bei dem Käufer hervorgerufenen Irrtum durch spätere Aufklärung beseitigt zu haben, muss auch in diesem Falle der Käufer vortragen und nachweisen, dass eine entsprechende Aufklärung nicht erfolgt ist (BGH, Urteil vom 27.06.2014, V ZR 55/13).

Rechtsfolgen der Anfechtung des Immobilienkaufvertrages?



Wird die Anfechtung wirksam ausgesprochen, hat der Verkäufer dem Käufer den geleisteten Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückübereignung der Immobilie zurückzuerstatten. Darüber hinaus kann der Käufer den weiteren ihm entstandenen Schaden ersetzt verlangen. Zu diesem Schaden gehören z. B.:

- Kosten der notariellen Beurkundung
- Kosten des Grundbuchamtes
- Maklerkosten
- Grunderwerbsteuer
- unnütze, im Glauben an die Wirksamkeit des Vertrages getätigte Aufwendungen
- Finanzierungskosten und Kosten für die Unterhaltung des Grundstücks -der Käufer muss sich in diesem Fall den nach dem üblichen Miet- oder Pachtzins zu berechnenden Wert der Eigennutzung anrechnen lassen-; beschränkt sich der Käufer darauf, den Leistungsaustausch rückgängig zu machen und Ersatz der Vertragskosten zu verlangen, ist als Nutzungsvorteil nur die abnutzungsbedingte, zeitanteilig linear zu berechnende, Wertminderung der Immobilie anzurechnen (BGH, Urt. vom 31.03.2006, V ZR 51/05)
- vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten

Besteht im Falle der Anfechtung des Immobilienkaufvertrages ein Anspruch auf Rückerstattung der Maklerprovision unmittelbar gegenüber dem Makler?



Soweit die Voraussetzungen für eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung des Kaufvertrages vorliegen und diese auch geltend gemacht wird, entfällt die Provisionspflicht. Eine etwaige bereits gezahlte Provision ist, wenn in Unkenntnis des Anfechtungsgrundes gezahlt wurde, zurückzuerstatten (vgl. BGH, Urteil vom 14.12.2000, III ZR 3/00).

Achtung: Ist noch die Eigentumsvormerkung eingetragen und der Kaufpreis schon gezahlt?



Ist der Kaufpreis schon gezahlt, die Eigentumsumschreibung aber noch nicht erfolgt, birgt ein Rücktritt und eine Anfechtung erhebliche Risiken für den Käufer.

Wird nämlich in diesem Stadium der Rücktritt oder die Anfechtung erklärt und fällt der Verkäufer danach in die Insolvenz, so kann der Insolvenzverwalter die Löschung der Vormerkung verlangen. Den gezahlten Kaufpreis hingegen kann der Käufer lediglich als Insolvenzforderung anmelden. Dies bedeutet, dass er in der Regel nichts oder nur einen geringen Teil des gezahlten Betrages zurückbekommen wird (vgl. BGH, Urteil vom 22.01.2009, IX ZR 66/07).

Beratung bei Anfechtung und Rücktritt vom Immobilienkaufvertrag empfohlen!



Um formale Fehler bei der Wahrnehmung seiner Rechte zu vermeiden, sollte man, sobald Mängel festgestellt wurden, die weitere Vorgehensweise mit einem Rechtsanwalt abstimmen. Erst hiernach sollte dann eine etwaige Anfechtung oder der Rücktritt vom Immobilienkaufvertrag erklärt werden.

Auch, wenn man als Verkäufer von dem Käufer durch Rücktritt oder Anfechtung auf Rückabwicklung des Immobilienkaufvertrages in Anspruch genommen wird, sollte man sich, bevor irgendwelche Erklärungen nach außen abgegeben werden, rechtlich beraten lassen.

Übernimmt die Rechtsschutzversicherung die Angelegenheit im Falle einer Anfechtung oder des Rücktritts vom Immobilienkaufvertrag?



Bei Bestehen einer Rechtsschutzversicherung werden die hierdurch anfallenden Kosten in der Regel von der Versicherung übernommen. Dies gilt jedenfalls bei selbstgenutzten Objekten bzw. bei solchen, bei denen die eigene Nutzung beabsichtigt ist. In den übrigen Fällen hängt es von dem bestehenden Versicherungsvertrag ab.

von Ingo Schleypen

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