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Kategorie: Anwalt Arbeitsrecht ,
22.11.2024 (Lesedauer ca. 7 Minuten, 3107 mal gelesen)
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Scheinselbständigkeit: Freie Mitarbeit oder angestellt beschäftigt?

Eine junge Frau arbeitet an ihrem Laptop Eine junge Frau arbeitet an ihrem Laptop © freepik-mko

Eine Scheinselbstständigkeit tritt auf, wenn eine Person zwar offiziell als Selbstständige im Geschäftsleben auftritt, aber faktisch wie ein Arbeitnehmer in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis arbeitet. Dies kann erhebliche rechtliche und finanzielle Konsequenzen für Auftragnehmer und Auftraggeber haben, insbesondere im Hinblick auf die Sozialversicherungsbeiträge.

Wann bin ich ein freier Mitarbeiter?


Ein freier Mitarbeiter kennzeichnet sich in erster Linie durch seine Selbstständigkeit aus. Bei seiner Tätigkeit für einen Auftraggeber arbeitet er frei und ist keinen Weisungen unterworfen. Arbeitszeit und Arbeitsort bestimmt er selbst. Er ist in seiner Tätigkeit vom Arbeitsalltag und -ablauf seines Auftraggebers nicht beeinflusst. Ein freier Mitarbeiter kann auch mehrere Aufträge von einem Auftraggeber annehmen, so lange er das Recht hat, diese auch ablehnen zu können.

Welche Vor – und Nachteile hat eine freie Mitarbeit?


Die entscheidenden Vorteile einer freien Mitarbeit sind Freiheit und Flexibilität. Der freie Mitarbeiter entscheidet selbst, welche Aufträge er annimmt und in welchem Umfang er arbeitet. Er kann zudem bei jedem Auftrag seine Bezahlung neu verhandeln.

Für Unternehmen hat eine freie Mitarbeit den Vorteil, dass sie Ressourcen nach Bedarf besser planen können, keinen Kündigungsfristen unterliegen und Sozialabgaben vermeiden.

Nachteile bei einer freiberuflichen Tätigkeit sind für den Freiberufler: kein festes Gehalt – die Auftragslage bestimmt die Einnahmen, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Urlaub und Kranken- und Rentenversicherung müssen selbst abgeschlossen und getragen werden.

Nachteile für Unternehmen sind bei einer freien Mitarbeit: keine feste Verfügbarkeit des freien Mitarbeiters und keine Loyalität zum Unternehmen.

Worauf muss ich als freier Mitarbeiter achten?


Wer als freier Mitarbeiter für ein Unternehmen tätig ist, verliert damit seine Arbeitnehmerrechte: kein Kündigungsschutz, keine Lohnfortzahlung bei Krankheit oder Urlaub und auch keinen Arbeitsvertrag, der Rechte und Pflichten regelt.
Freie Mitarbeiter sollten daher bei jeder Beauftragung einen Dienst- oder Werkvertrag mit dem auftraggebenden Unternehmen abschließen, in dem die Leistung, Vergütung, Fristen, Zurückbehaltungsrechte, etc. geregelt sind.

Ganz wichtig: Die freie Mitarbeit muss gegenüber dem Finanzamt angezeigt werden.

Welche Tätigkeiten sind als freie Mitarbeit anerkannt?


Folgende Tätigkeiten haben die Gerichte bspw. als freie Mitarbeit anerkannt:
Ein Content Manager, der die Social-Media-Präsenz eines Unternehmens entwickelt und betreut, kann als freier Mitarbeiter tätig sein, entschied das Landessozialgericht (LSG) Essen (Az. L 8 R 934/16). Auch im Rahmen eines einheitlichen Auftragsverhältnisses kann eine freie Mitarbeit vorliegen, wenn die vertraglichen Vereinbarungen und die tatsächliche Umsetzung dafür genügend Anhaltspunkte geben.

Die Dienste eines Hausmeisters für eine Wohnungseigentümergemeinschaft können trotz eines sog. Dienstvertrags als selbstständige Tätigkeit bewertet werden, entschied das Sozialgericht (SG) Landshut (Az. S 1 BA 41/18). Im konkreten Fall teilte sich der Hausmeister seine Zeit frei ein, war nicht zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet, benutzte eigene Arbeitsgeräte mit dem damit verbundenen unternehmerischen Risiko und erhielt eine Pauschalvergütung für seine Dienste. Aus diesem Gesamtbild seiner Tätigkeit schloss das Gericht, dass der Hausmeister nicht sozialversicherungspflichtig ist.

Laut SG Stuttgart (Az. S 24 BA 3984/18) ist ein Schreinermeister, der aufgrund von Werkverträgen auf Baustellen arbeitet, selbstständig tätig.

Eine freie Mitarbeit liegt auch im Fall eines Chefdirigenten vor, der das volle Ausfallrisiko für ein von ihm veranstaltetes Konzert trägt, so das LSG Stuttgart (Az. L 5 BA 142/20).

Im Fall von Prüfingenieuren, die Hauptuntersuchungen und Sicherheitsprüfungen durchführen, liegt laut Bundesfinanzhof (Az. VIII R 35/16) eine freie Mitarbeit vor, wenn sie eigenverantwortlich tätig sind.

Eine Tierärztin, die als Teamleiterin für die Qualitätssicherung bei der Herstellung von Blutgerinnungsmitteln in einem Pharmaunternehmen tätig ist, übt eine freie Mitarbeit aus, da sie wie alle Tierärzte, die eine tierärztliche Tätigkeit ausüben, Pflichtmitglied eines Versorgungswerkes ist, entschied das Hessische LSG (Az. L 1 KR 120/17).

Wann spricht man von einer Scheinselbstständigkeit?


Die Abgrenzung zwischen echter Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit erfolgt anhand bestimmter Kriterien. Entscheidend ist dabei, ob die Tätigkeit tatsächlich eigenverantwortlich und unternehmerisch ausgeführt wird. Eine Scheinselbstständigkeit liegt dann vor, wenn der freie Mitarbeiter keinerlei eigenes unternehmerisches Risiko trägt und den Weisungen des Auftraggebers folgen muss. Er kann nicht selbst bestimmen, wie, wo und wann er seine vereinbarte Leistung erbringt, sondern handelt auf Weisung seines Auftraggebers. Der Auftragnehmer trägt bei einer Scheinselbstständigkeit kein wirtschaftliches Risiko und ist nicht eigenständig verantwortlich für Gewinne oder Verluste. Es werden keine eigenen Arbeitsmittel oder Betriebsmittel eingesetzt. Er beschäftigt keine eigenen Mitarbeitenden, sondern arbeitet alleine.

Ein weiteres Indiz für eine Scheinselbstständigkeit ist, wenn der Auftragnehmer fest in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingebunden ist. Hat der Auftragnehmer kaum oder keine anderen Kunden und arbeitet er überwiegend oder ausschließlich für den Auftraggeber, spricht das auch für eine Scheinselbstständigkeit.

Welche Konsequenzen hat eine Scheinselbstständigkeit?


Bei einer Scheinselbstständigkeit müssen Sozialversicherungsbeiträge nachgezahlt werden. Der Auftraggeber einer Scheinselbstständigkeit haftet für nicht gezahlte Beiträge, wie Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung, und muss diese für bis zu vier Jahre rückwirkend zahlen.

Zudem kann die vorsätzliche Verschleierung einer Scheinselbstständigkeit als Straftat gewertet werden, z. B. als Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen.

Die scheinselbstständige Person verliert arbeitsrechtliche Ansprüche und kann rückwirkend keine Ansprüche etwa auf Urlaubsgeld, Kündigungsschutz oder Lohnfortzahlung geltend machen.

Wer kontrolliert, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt?


Eine Scheinselbstständigkeit wird oft im Rahmen einer Statusfeststellung durch die Deutsche Rentenversicherung (DRV) geprüft. Kriterien sind dabei die zugrundeliegenden vertraglichen Vereinbarungen, wie die Tätigkeit tatsächlich durchgeführt wird und ob es sich um eine selbstständige Organisation mit eigener Risikoübernahme handelt.

Wie kann eine Scheinselbstständigkeit vermieden werden?


Mit dem Abschluss klarer Verträge, die die Selbstständigkeit dokumentieren, kann eine Scheinselbstständigkeit vermieden werden. Auch der Nachweis für mehrere Auftraggeber tätig zu sein, vermeidet den Verdacht der Scheinselbstständigkeit. Wichtig ist auch, dass eigene unternehmerische Entscheidungen getroffen werden – unabhängig vom Auftraggeber. Um den Eindruck einer Scheinselbstständigkeit zu vermeiden, sollten freie Mitarbeiter eigene Betriebsmittel, wie eigenes Geschäftspapier mit eigenem Logo und eine eigene Homepage haben. Ein freier Mitarbeiter sollte nicht im Organigramm des Auftraggebers erscheinen, nimmt nicht an Betriebsfesten teil und leistet keine Urlaubsvertretung.

Bei welchen Beschäftigungen liegt keine freie Mitarbeit vor?


Keine freie Mitarbeit und damit eine Scheinselbstständigkeit stellten die Gerichte bspw. bei folgenden Tätigkeiten fest:
Klinikärzte sind abhängig beschäftigt, wenn sie in die Organisation einer Station eingegliedert sind und kein eigenes Unternehmerrisiko tragen. Dies geht aus einer Entscheidung des SG Dortmund (Az. S 34 R 2153/13) hervor, dass die Honorarverträge von mehreren Ärzten deshalb als unwirksam beurteilte und das Klinikum zur Nachzahlung entsprechender Sozialversicherungsbeiträgen verurteilte.

Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter mit Anwaltszulassung ist ebenfalls abhängig beschäftigt und muss Sozialversicherungsbeiträge leisten, so das LSG Nordrhein-Westfalen (Az. L 3 R 560/19).

Bestimmt ein Physiotherapeut in der Praxis, in der er beschäftigt ist, weder die Abläufe und trägt auch kein unternehmerisches Risiko, ist er kein freier Mitarbeiter, so das LSG Baden-Württemberg (Az. L 4 BA 75/20).

Ein Operettensänger ist nicht freiberuflich beschäftigt, weil er funktionsgerecht dienend am künstlerischen Entstehungsprozess teilnimmt und in eine vom Träger des Theaters vorgegebene Organisation eingegliedert ist, so das LSG Nordrhein-Westfalen (Az. L 8 R 655/14).

Ein Busfahrer ohne einen eigenen Bus ist aufgrund der Eingliederung im Unternehmen in der Regel abhängig beschäftigt und damit sozialversicherungspflichtig. Das entschied das Hessische LSG (Az. L 1 KR 157/16). Ebenso ist ein Pilot ohne eigenes Flugzeug nicht weisungsfrei und damit abhängig beschäftigt, entschied auch das LSG Hessen (Az. L 8 BA 65/21). Gleiches gilt für den Transportfahrer ohne eignes Fahrzeug, so das LSG Nordrhein-Westfalen (Az. L 8 BA 78/18).

Ein Fahrschullehrer mit eigenem Fahrzeug, aber ohne Fahrschulerlaubnis, kann nicht als freier Mitarbeiter beschäftigt werden, entschied das LSG Darmstadt (Az. L 1 BA 15/18).

Ein Nageldesigner ohne eigenes Nagelstudio ist ebenfalls kein freier Mitarbeiter, weil er in die Betriebsabläufe des Nagelstudios eingebunden ist, entschied das SG Stuttgart (Az. S 7 R 1197/17).

Eine Beschäftigte, die für ein Unternehmen an vier Tagen in der Woche Handtuchrollen und Fußmatten mit ihrem eigenen Fahrzeug an Kunden ausliefert, ist nicht freiberuflich tätig, weil sie in den Betrieb eines Unternehmens eingegliedert ist und weisungsgebunden arbeitet, entschied das Hessische LSG (Az. L 1 KR 57/16).

Auch im Fall eines bei einer städtischen Musikschule tätigen Musiklehrers, entschied das LSG Nordrhein-Westfalen (Az. L 8 R 761/14), dass eine abhängige Beschäftigung vorliegt. Der Musiklehrer sei den Unterrichtsplänen der Musikschule so unterworfen, dass man nicht mehr von einer freien Mitarbeit sprechen könne.

Das Bundessozialgericht (Az. B 12 BA 3/23 R) stellt in einer Entscheidung klar, dass es keine gefestigte und langjährige Rechtsprechung gibt, wonach eine lehrende Tätigkeit bei entsprechender Vereinbarung immer als selbstständig anzusehen ist. Dies sei immer eine Entscheidung im Einzelfall.

Der Rundgangleiter in einem Museum ist nicht freiberuflich tätig, da er kein eigenes unternehmerisches Risiko trägt und weisungsgebunden arbeitet, entschied das Bayerische LSG (Az. L 16 R 5110/16).

Ein Hockey-Trainer, der seine Mannschaft über eine längere Zeit trainiert, ist in die betrieblichen Abläufe des Vereins so eingegliedert, dass keine selbstständige Tätigkeit, sondern eine abhängige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt, entschied das SG Wiesbaden (Az. L 8 KR 297/19). Für die längere Betreuung einer Mannschaft sei eine enge Abstimmung und ein Zusammenwirken zwischen Trainer und Sportverein notwendig, wobei der Sportverein und nicht der Trainer die Gesamtverantwortung für den Verein trage. Auch das unternehmerische Risiko werde allein vom Sportverein übernommen.

Auch ein Fußball-Trainer trägt kein eigenes unternehmerisches Risiko und ist beim Training einer Vielzahl von Weisungen unterworden, entschied das LSG Niedersachsen-Bremen (Az. L 2 BA 17/18).

Bei Taxifahrern gibt es das sog. „Mietmodell“, das heißt sie mieten sich von der Taxizentrale ein Fahrzeug für das sie kilometerabhängig ein Entgelt zahlen müssen. Das SG Dortmund (Az. S 34 BA 1/18 ER) hat jetzt entschieden, dass diese Taxifahrer nicht selbstständig, sondern abhängig beschäftigt sind. Die Taxifahrer werden bei der Auftragsvergabe wie angestellte Taxifahrer behandelt, unterliegen dem Weisungsrecht der Taxizentrale und sind auch in deren Betriebsablauf eingebunden. Zudem sei das unternehmerische Risiko der Taxifahrer im Mietmodell zu gering, da sie keine Kosten für betriebliche Investitionen tragen müssten.

Ein Kurierfahrer ohne eigenen Entscheidungsspielraum, wie und wann er seine Fahrten durchführt, ist kein freier Mitarbeiter, entschied das LSG Berlin-Brandenburg (Az. L 28 BA 23/19).

Ein Kraftfahrzeugmeister, ohne eigenen Betrieb, übt keine selbstständige Tätigkeit aus, da die berufsspezifische Einordnung in den Betrieb für eine Arbeitnehmertätigkeit spricht, entschied das SG Stuttgart (Az. S 20 R 1936/16). Auch wenn der betroffene Kraftfahrzeugmeister nicht verpflichtet war alle Aufträge anzunehmen, eigenes Werkzeug einsetzte und hinsichtlich seiner Zeit- und Urlaubsplanung frei war, lehnte das Gericht eine Selbstständigkeit ab. Entscheidend sei die Eingliederung des Kraftfahrzeugmeisters in den Betriebsablauf.


erstmals veröffentlicht am 15.08.2018, letzte Aktualisierung am 22.11.2024

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