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Kategorie: Anwalt Arbeitsrecht , 17.05.2024 (Lesedauer ca. 5 Minuten, 5368 mal gelesen)

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: Droht die Kündigung?

Büroangestellte erfährt sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz Büroangestellte erfährt sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz © freepik - mko

Anzügliche Bemerkungen in E-Mails, aufgedrängte Berührungen am Arbeitsplatz bis hin zu erzwungenen sexuellen Handlungen – sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz kann in ganz unterschiedlichen Formen stattfinden. Doch wann spricht man von einer sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz? Wann ist die Grenze zum harmlosen Flirt überschritten? Wie können sich Opfer von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz wehren? Und mit welchen straf- und arbeitsrechtlichen Folgen müssen Täter einer sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz rechnen?

Wann spricht man von einer sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz?


Der Begriff „Sexuelle Belästigung“ wird im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz definiert. Danach liegt eine sexuelle Belästigung vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten – dazu gehören neben dem sexuell bestimmten Berühren auch Aufforderungen zu sexuellen Handlungen, Bemerkungen mit sexuellem Inhalt oder das Zeigen von pornografischen Darstellungen – die Würde der betroffenen Person verletzt. Dies gilt insbesondere, wenn ein Umfeld geschaffen wird, dass von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen geprägt ist.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein (Az. 3 Sa 410/08) stellt ausdrücklich klar, dass auch verbale Belästigungen und Gesten, wie zweideutige Witze oder auch das Zeigen eines Pornofotos auf dem Handy, eine sexuelle Belästigung darstellen.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verbietet jede Form von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Arbeitgeber haben die Pflicht ihre Arbeitnehmer vor sexuellen Belästigungen zu schützen.

Wo ist die Grenze zwischen Flirt und sexueller Belästigung am Arbeitsplatz?


Die Grenze zwischen einem harmlosen Flirt und einer sexuellen Belästigung ist nicht immer klar und eindeutig. Sie ist in jeden Fall aber dann überschritten, wenn das „Flirt-Verhalten“ eines Kollegen oder Vorgesetzten unerwünscht und einseitig ist oder wenn Erniedrigungen und Abwertungen damit zum Ausdruck gebracht werden. In diesen Fällen handelt es sich nicht mehr um einen Flirt, sondern um eine sexuelle Belästigung. Eine sexuelle Belästigung liegt auch vor, wenn bei der Verweigerung von sexuellen Handlungen berufliche Nachteile angedroht werden oder berufliche Vorteile versprochen werden, wenn der sexuellen Belästigung entsprochen wird.

Wer die allgemein übliche minimale körperliche Distanz nicht achtet und eine Mitarbeiterin wiederholt unnötig und unerwünscht berührt, begeht eine sexuelle Belästigung. Dies stellt das LAG Schleswig-Holstein (Az. 3 Sa 163/06) klar.

Wie kann ich mich bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz wehren?


Arbeitnehmer, die von sexueller Belästigung betroffen sind, haben nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ein Beschwerderecht, ein Leistungsverweigerungsrecht und einen Anspruch auf Schadensersatz.

Beschweren Sie sich!


Von sexueller Belästigung betroffene Arbeitnehmer sollten sich so schnell wie möglich an die entsprechende Beschwerdestelle im Betrieb wenden und diese von der sexuellen Belästigung informieren. Wichtig: Dadurch darf dem Arbeitnehmer keine beruflichen Nachteile entstehen. Die Beschwerdestelle prüft den Vorfall und informiert den Betroffenen über das Ergebnis. In jedem Fall ist der Arbeitgeber verpflichtet dafür sorgen, dass es zu keiner weiteren sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz kommt.

Nehmen Sie Ihr Recht auf Leistungsverweigerung wahr!


Unternimmt der Arbeitgeber nichts gegen die sexuelle Belästigung, kann sich der betroffene Arbeitnehmer als letztes Mittel auf sein Recht zur Leistungsverweigerung berufen. Bevor der von sexueller Belästigung Betroffene seine Arbeit aber einstellt, muss er seinen Arbeitgeber darüber schriftlich informieren.

Fordern Sie Ihren Anspruch auf Schadensersatz ein!


In diesem Fall haftet der Arbeitgeber auf Schadensersatz, wenn es erneut zu einer sexuellen Belästigung kommt. Er haftet zudem, wenn die sexuelle Belästigung von Personen mit Arbeitgeberfunktion oder mit Weisungsrecht ausgeht. Der Anspruch auf Schadensersatz muss innerhalb von zwei Monaten nach dem Vorfall gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht werden. Danach hat der Betroffene weitere drei Monate Zeit um seinen Anspruch gerichtlich einzuklagen.

Abmahnung, Versetzung, Kündigung: Welche Folgen hat sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz?


Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz kann für den belästigenden Arbeitnehmer unterschiedliche arbeitsrechtliche Konsequenzen haben. Für den Arbeitgeber stehen die Optionen Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung bis hin zur fristlosen Kündigung offen.
Bei einer fristlosen Kündigung wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz muss laut LAG Baden-Württemberg (Az. 13 Sa 141/12) im Einzelfall geprüft werden, ob nicht zunächst eine Abmahnung als milderes Mittel erfolgen muss. Im zu entscheidenden Fall hatte ein Arbeitnehmer seinen Kollegen auf einer Abendveranstaltung von hinten umschlungen und sich kurz an ihn gepresst. Eine daraufhin erklärte fristlose Kündigung des Mannes sei unverhältnismäßig, da nicht jede Berührung sexuell motiviert sei. Hier hätte zunächst eine Abmahnung erfolgen müssen, so das Gericht.

Ohne vorherige Abmahnung kann eine fristlose Kündigung wegen sexueller Belästigung erfolgen, wenn ein Arbeitnehmer einer Kollegin pornografische Aufnahmen oder Bilder zeigt und diese entsprechend kommentiert, so das LAG Schleswig-Holstein (Az. 3 Sa 410/08).

Eine fristlose Kündigung wegen sexueller Belästigung ist rechtmäßig, wenn ein Arbeitnehmer erst einer Kollegin und dann sich selbst in den Schritt fast und dies sexuell kommentiert, entschied das LAG Köln (Az. 4 Sa 644/19). Die 16jährige beanstandungsfreie Betriebszugehörigkeit des Mannes spielte dabei für das Gericht keine Rolle.

Ein Kollege der auf einer Weihnachtsfeier kein passendes Kleingeld für ein Geschenk hatte und im Beisein einer Kollegin zu einem anderen Kollegen sagte: "Wir können sie ja auf den Kopf stellen und die Geldkarte durch den Schlitz ziehen.", begeht eine schwere sexuelle Belästigung und Beleidigung, die ohne vorherige Abmahnung eine fristlose Kündigung rechtfertigt, so das Arbeitsgericht (ArbG) Elmshorn (Az. 3 Ca 1501 e/22).

Eine gerechtfertigte fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung bestätigt die Entscheidung des ArbG Berlin (Az. 22 Ca 109/23) im Fall eines Arbeitnehmers, der seiner Kollegin mit deren Einverständnis den Rücken aufgrund von Rückenschmerzen massierte und dann ohne deren Einverständnis seine Hände unter den BH schob und ihre Brüste berührte.

Wer im Rahmen einer Dienstreise aufdringlich gegenüber einer Kollegin wird und sie gegen ihren Willen küsst, muss mit einer fristlosen Kündigung wegen sexueller Belästigung rechnen, entschied ebenfalls das LAG Köln (Az. 8 Sa 798/20). Mit einem solchen Verhalten verletze der Arbeitnehmer seine Pflicht auf die berechtigten Interessen seines Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen.

Auch die sexuelle Belästigung einer minderjährigen Nichte einer Arbeitskollegin über Facebook rechtfertigt die außerordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers, entschied das Hessisches LAG (Az. 14 Sa 609/13).

Ebenso kann ein Chef fristlos und ohne Abmahnung gekündigt werden, wenn er eine Auszubildende verbal sexuell belästigt, entschied das LAG Rheinland-Pfalz (Az. 9 Sa 853/01).

Während das LAG Niedersachsen (Az. 1 Sa 547/08) bei einer verbalen sexuellen Belästigung eine Abmahnung vor einer fristlosen Kündigung für notwendig erachtet, stellt der Bundesgerichtshof (BGH) (Az. 2 AZR 323/10) klar, dass eine Abmahnung vor einer fristlosen Kündigung in diesem Fall nicht erforderlich ist.

Ein Chef darf eine Mitarbeiterin nicht unter Augenschein einer dienstlichen Verpflichtung zum Verbringen der Freizeit zu zweit und zum Konsum von Alkohol drängen. Er darf auch keine unerwünschten Anrufe oder Nachrichten an die Mitarbeiterin versenden. Ein solches Verhalten rechtfertigt laut LAG Berlin (Az. 9 Sa 500/20) eine ordentliche Kündigung des Arbeitnehmers.

Ein Beamter, der als Chef gegenüber einer Beamtenanwärterin vorschlägt, sich zu einem entspannten Treffen zu verabreden und ihre BH-Größe erfragt, begeht eine sexuelle Belästigung und damit ein schweres Dienstvergehen, entschied das Verwaltungsgericht Trier (Az. 3 K 143/08.TR) und stufte den betroffenen Beamten um ein Amt zurück.

Das Bundesverwaltungsgericht (Az. 2 A 7.23) stufte einen Beamten zurück und verhängte eine Beförderungssperre, weil dieser eine Praktikantin zu einem gemeinsamen Abendessen gedrängt hatte und sie dann mit intimen Fragen und einem unfreiwilligen Wangenkuss belästigte. Laut Gericht kein eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz auch außerhalb der Dienstzeit erfolgen.

Welche Strafen drohen Täter bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz?


Die Strafbarkeit für sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz hängt von dem Straftatbestand ab, der dadurch verwirklicht wurde. Kommt es zu körperlichen Berührungen, die sexuell motiviert sind, kann dies mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe geahndet werden. Wird gegen den Willen einer Person sexuelle Handlungen an ihr vorgenommen oder sie bestimmt sexuelle Handlungen an sich selbst oder bei Dritten vorzunehmen, kommt dafür eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren in Betracht. Bei einer Vergewaltigung beträgt der Strafrahmen eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren.




erstmals veröffentlicht am 08.02.2016, letzte Aktualisierung am 17.05.2024

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